Wann haben Kinder Flüchtlingsstatus?

Auch Asyl suchende Kinder müssen Asylverfahren durchlaufen. Ihre Verfahren müssen aber kindgerecht gestaltet sein und sie haben oft kinderspezifische Asylgründe. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR hat deshalb Richtlinien zu Asylanträgen von Kindern veröffentlicht und setzt sich – auch in Österreich – für kindgerechte Asylverfahren ein.

Das österreichische Asylgesetz bezieht sich auf die in der Genfer Flüchtlingskonvention aus 1951 festgelegte Definition des Flüchtlingsbegriffs. Diese findet zwar auf jede Person unabhängig von ihrem Alter Anwendung, doch wird sie traditionell im Hinblick auf die Erfahrungen von Erwachsenen ausgelegt. Um den Bedürfnissen von Kindern und ihrer insbesondere in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Rechte gerecht zu werden, bedarf es einer kindgerechten Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention. Dies bedeutet nicht, dass Asyl suchende Kinder automatisch Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus haben. Das Antrag stellende Kind muss darlegen dass es begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung hat.

Der Begriff „Verfolgung“ umfasst schwere Menschenrechtsverletzungen. Der Grundsatz des Kindeswohls verlangt dabei, dass diese Schädigung aus der Sicht des Kindes beurteilt wird. Misshandlung, die im Fall eines Erwachsenen nicht das Ausmaß von Verfolgung erreicht, kann im Fall eines Kindes durchaus Verfolgung bedeuten. Das Vorenthalten wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte kann im Falle von Kindern ebenso relevant sein wie die Verweigerung bürgerlicher und politischer Rechte. Es ist wichtig, die Auswirkungen eines Schadens für das Kind in ihrer Gesamtheit zu beurteilen; so kann zum Beispiel die Verweigerung des Rechts auf Bildung oder auf einen angemessenen Lebensstandard das Risiko erhöhen, auch Gewalt und Missbrauch zu erleiden. Kinder können auch spezifischen Formen der Verfolgung ausgesetzt sein, die auf ihr Alter, ihre fehlende Reife oder Verletzlichkeit zurück zu führen sind. Beispiele dafür sind unter anderem die Rekrutierung von Minderjährigen, Kinderhandel, weibliche Genitalverstümmelung, Gewalt in der Familie und häusliche Gewalt, Zwangs- oder Kinderheirat, Kinder in Schuldknechtschaft, gefährliche Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Zwangsprostitution und Kinderpornografie. Auch das einem Familienangehörigen zugefügte Leid kann in dem Kind eine wohlbegründete Furcht hervorrufen. Musste ein Kind etwa Gewalt gegen einen Elternteil oder eine andere Person, von der es abhängig ist, mit ansehen oder hat es deren Verschwinden oder Tötung erlebt, kann das Kind eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung haben, selbst wenn die Handlung nicht direkt gegen das Kind gerichtet war. Unter bestimmten Umständen kann auch die erzwungene Trennung eines Kindes von seinen Eltern, bedingt durch diskriminierende Sorgerechtsbestimmungen oder die Inhaftierung eines oder beider Elternteile des Kindes, Verfolgung darstellen

Im Fall, dass die Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht – wie militarisierten Gruppen, Verbrecherbanden, Eltern und anderen Betreuungspersonen oder Führungspersönlichkeiten der Gemeinschaft oder Religionsgemeinschaft – ist zu prüfen, ob der Staat außerstande oder nicht bereit ist, das Opfer zu schützen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang weiters, ob dem Kind eine sichere und zumutbare Zufluchtalternative im Heimatland zur Verfügung steht, wobei auch hier das Wohl des Kindes von ausschlaggebender Bedeutung ist. Eine so genannte interne Fluchtalternative ist insbesondere dann nicht geeignet, wenn unbegleitete Kinder dort keine Familienangehörigen haben, die bereit sind, sie zu unterstützen oder zu betreuen.

In Bezug auf die so genannten Konventionsgründe, die in der Genfer Flüchtlingskonvention dargelegt sind – Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung – ist Folgendes zu berücksichtigen: Wie Erwachsenen kann auch Kindern wegen ihrer religiösen Überzeugung oder der Weigerung, sich zu einem bestimmten Glauben zu bekennen, ebenso wie aufgrund ihrer politischen Auffassung Verfolgung drohen. Man denke nur daran, dass treibende Kraft vieler nationaler Befreiungs- oder Protestbewegungen Aktivisten aus Studenten- und Schülerkreisen sind. Außerdem können staatliche Behörden oder nichtstaatliche Akteure Kindern unterstellen, die Ansichten und Standpunkte von Erwachsenen, etwa ihrer Eltern, zu teilen. Darüber hinaus kann es eine ganze Reihe von Kindergruppierungen geben, die Grundlage eines mit der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ begründeten Asylantrags bilden. Das Alter und andere Merkmale können Gruppen wie „verlassene Kinder“, „Kinder mit Behinderungen“, „Waisenkinder“ oder „Kinder, die unter Missachtung einer vorgeschriebenen Familienplanungspolitik oder in unerlaubten ehelichen Gemeinschaften geboren werden“, begründen.

Aufgrund ihres jungen Alters, ihrer Abhängigkeit und Unreife sollten Kinder besondere Verfahrens- und Beweisführungsgarantien genießen, um sicher zu stellen, dass über ihre Asylanträge in fairer Weise entschieden wird. UNHCR schlägt dafür unter anderem folgende Mindeststandards vor: Asylanträge von unbegleiteten Kindern sollten in der Regel prioritär behandelt werden, da sie oft eines besonderen Schutzes und besonderer Hilfe bedürfen. Vor Beginn des Verfahrens muss den Kindern jedoch ausreichend Zeit gegeben werden, um sich auf die Schilderung des Erlebten vorzubereiten und um ein Vertrauensverhältnis zu ihrem Vormund und zu anderem Fachpersonal aufzubauen sowie ein Gefühl der Sicherheit zu entwickeln. Im Fall unbegleiteter oder von ihren Eltern getrennter Kinder muss unverzüglich und kostenlos ein unabhängiger, qualifizierter Vormund bestellt werden. Kinder, die in einem Asylverfahren die Hauptantragsteller sind, haben auch Anspruch auf einen Rechtsvertreter. Dieser sollte entsprechend geschult sein und das Kind während des ganzen Verfahrens unterstützen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass Kinder, die gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen aus ihrem Heimatland fliehen, nicht nur als Teil einer Familieneinheit, sondern als Personen mit eigenen Rechten und Interessen wahrgenommen werden. Um zu gewährleisten, dass das Kind Gelegenheit erhält, seine Meinung und seine Bedürfnisse zu äußern, bedarf es der Entwicklung und Implementierung von sicheren und kindgerechten Verfahren und eines entsprechenden Umfelds, das in allen Phasen des Asylverfahrens Vertrauen schafft. Bei der Beurteilung der Aussagen von Kindern sollte schließlich beachtet werden, dass diese oftmals nicht in der Lage sind, Geschehnisse auf dieselbe Weise zu schildern, wie Erwachsene. Im Zweifelsfall sollte für das Kind entschieden werden, auch wenn Bedenken hinsichtlich einiger Behauptungen des Kindes bestehen.

Viele Staaten erkennen in zunehmendem Maße an, dass es spezielle Maßnahmen braucht, um kindgerechte Asylverfahren sicherzustellen. In Österreich konnte das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR dank finanzieller Unterstützung aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds und des Bundesministeriums für Inneres in den Jahren 2011 und 2012 in enger Kooperation mit dem Bundesasylamt das Projekt „Unterstützung der Behörden bei Asylverfahren unbegleiteter Minderjähriger (UBAUM)“ durchführen. Aufbauend auf der Beobachtung von Einvernahmen und der Analyse von Asylbescheiden sowie Gesprächen mit 69 Minderjährigen über ihre Erfahrungen mit dem Asylverfahren konnte UNHCR einen Beitrag zur Entwicklung interner Richtlinien des Bundesasylamtes im Umgang mit Asyl suchenden Kindern leisten. Darüber hinaus hat UNHCR im Herbst 2012 die Pilotfassung einer in Kooperation mit einschlägigen Akteuren im Asylwesen sowie Sprachwissenschafter/innen entwickelten altersadäquaten Informationsbroschüre über das österreichische Asylverfahren für unbegleitete Minderjährige herausgegeben.

Mag.a Birgit Einzenberger
Leiterin der Rechtsabteilung des UNHCR-Büros in Österreich
www.unhcr.at