Unterhaltsrecht vor neuen Herausforderungen

Jedes Kind hat Anspruch auf unterhaltsrechtliche Deckung seiner Lebensbedürfnisse. Die Gesetze und die Rechtsprechung schaffen ein stabiles rechtliches System, um eine Grundlage für diese Ansprüche zu bilden. Doch der gesellschaftliche Wandel und die flexiblere Gestaltung der familiären Verhältnisse stellen das Unterhaltsrecht vor neue Herausforderungen. Dies zeigt sich auch bei der Geltendmachung von Unterhaltsrückständen nach Änderungen der Obsorge und einem Wechsel des Aufenthaltes der Kinder.

Die unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen sind zwischen den Eltern, die zum Unterhalt ihrer Kinder anteilig beizutragen haben, gesetzlich aufgeteilt. Während jener Elternteil, in dessen Haushalt die Kinder gepflegt und betreut werden, dadurch seinen Beitrag leistet, ist der nicht betreuende Elternteil zu Geldunterhaltsleistungen verpflichtet (§ 231 Abs 1 und 2 ABGB).

Unterhaltsansprüche können seit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (6 Ob 544/87) drei Jahre rückwirkend geltend gemacht, erhöht, aber auch eingeschränkt oder aufgehoben werden. Diese rückwirkende Geltendmachung ist aus dem Unterhaltsrecht nicht mehr wegzudenken. Die Rechtsprechung hatte das Problem, ob der Anspruch des minderjährigen Kindes nicht bereits durch die Leistung eines Dritten, insbesondere durch Leistung des betreuenden Elternteiles, getilgt war, zu lösen. So entwickelte der OGH ein „Modell“, das dem Minderjährigen im eigenen Namen die rückwirkende Geltendmachung im Außerstreitverfahren ermöglichte (3 Ob 606/90). Der betreuende Elternteil schießt im Zuge der Versorgung des Kindes Beträge vor, ohne für den anderen Elternteil leisten zu wollen sowie auch ohne Ersatz von ihm zu verlangen. Der Anspruch des Kindes bleibt in diesem Fall gegenüber dem Schuldner aufrecht.

„Darlehens-Modell“ für rückwirkende Geltendmachung

Das Kind behält daher den Unterhaltsanspruch, wenn der betreuende Elternteil dem Kind die Unterhaltsbeiträge schenkt oder vorschussweise leistet. Der OGH konstruierte eine „Darlehensvariante“: Der Elternteil leistet das Geld vorschussweise für das seiner Obsorge anvertraute Kind in der Absicht, dessen berechtigte Ansprüche nicht zum Erlöschen zu bringen und sich allenfalls nach Durchsetzung der unberührt gebliebenen Unterhaltsansprüche des Kindes Ausgleich zu verschaffen.

Das von der Rechtsprechung entwickelte Modell ist aber nicht nur auf die Geltendmachung des Unterhalts für die Vergangenheit anzuwenden, sondern betrifft auch die Geltendmachung eines Unterhaltsrückstandes. Leistet der Geldunterhaltsschuldner den von ihm zu erbringenden Unterhalt nicht, muss der betreuende Elternteil den dadurch entstandenen Mehraufwand abdecken.

Die Konstruktion macht in Bezug auf die „Rückzahlung“ des Darlehens keine Probleme, solange das Kind beim betreuenden Elternteil bleibt, weil das Darlehen durch die Geldunterhaltsleistung „automatisch“ getilgt wird. Das Kind macht den Unterhaltsrückstand gegen den anderen Elternteil geltend und im Falle einer Bezahlung des Unterhaltsrückstandes kommt das Geld dem Kind und somit dem betreuenden Elternteil zu Gute.

Wechsel des Aufenthaltes des Kindes

Anders verhält es sich jedoch bei einem Wechsel des Aufenthaltes des Kindes zum anderen, ebenfalls oder nunmehr alleine obsorgeberechtigten Elternteil. In diesen Fällen möchte in der Regel der Elternteil, der in Vorlage getreten ist, den von ihm eingeräumten Darlehensbetrag zurück erhalten. In der Praxis stellt sich das Problem zumeist nicht in der Form, dass der den Vorschuss leistende Elternteil direkt gegen das Kind vorgeht. Vielmehr wird es schlagend, wenn das Kind vom Kinder- und Jugendhilfeträger im Unterhaltsverfahren nach § 208 Abs 2 ABGB oder § 9 Abs 2 UVG vertreten wird. Sämtliche – nicht selten im Exekutionswege eingebrachten - Unterhaltszahlungen gelangen an den Kinder- und Jugendhilfeträger, der anschließend für die Weiterleitung der Beträge zu sorgen hat.

Jener Elternteil, der nunmehr das Kind im Haushalt betreut, leistet den Unterhaltsrückstand an das Kind bzw. an den Kinder- und Jugendhilfeträger, der die Beträge aufgrund des Darlehens an den anderen Elternteil weiterleitet. Dem nunmehr betreuenden Elternteil steht somit weniger Geld für die Versorgung des Kindes zur Verfügung. Der Kinder- und Jugendhilfeträger agiert in einer schwierigen Rolle. Er muss die alten Unterhaltsrückstände vom nunmehr betreuenden Elternteil und gleichzeitig die laufenden Unterhaltsbeiträge vom ehemals betreuenden Elternteil einbringen.

In der Praxis treten immer mehr Fälle auf, in denen es zu Rückforderungen kommt. Es bedarf daher Lösungen zum Wohle des Kindes, zum Beispiel in Anwendung einer Zweifelsregel. Wenn sich aus dem Verhalten des den Vorschuss leistenden Elternteiles zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht eindeutig ergibt, dass er das Geld von dem Kind zurück erhalten will, hat eine nachträgliche Forderung gegenüber dem Kind zu unterbleiben.

Der OGH kreierte die Darlehenskonstruktion, um dem Kind die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit im Außerstreitverfahren zu ermöglichen. Ziel war es, eine familienpolitisch vernünftige Lösung zu finden. Hierfür hat er so manche formale gesetzliche Voraussetzung für den Abschluss eines Darlehens durch einen Minderjährigen außer Acht gelassen. Wechselnde gesellschaftliche Rahmenbedingungen bringen aber neue Problemstellungen mit sich, auf die es gilt, Antworten zu finden.