Starke Eltern geben Halt - Neue Autorität in der Kindererziehung

Kinder brauchen für ihre Entwicklung Sicherheit, Beziehung und Bindung, Orientierung und Halt. Damit Eltern dies ihren Kindern im notwenigen Ausmaß geben können benötigen diese ebenfalls Orientierung und Halt in Bezug auf zeitgemäße Methoden und Haltungen in der Kindererziehung.
Eine Mutter erzählt, dass sie bei ihrem 13-jährigen Sohn nichts mehr ausrichten kann, weil er „sowieso nicht mehr gehorcht“, berichtet sie. Seit einigen Wochen geht er auch nicht mehr regelmäßig zur Schule. Sie berichtet Schulter zuckend: „Was sollen wir Eltern machen, wir können ihn doch nicht ins Auto zerren! Wir haben alles versucht!“ „Er soll tun, was er will, er wird schon sehen, wohin ihn das führt“, meint seine Mutter schließlich resignierend.
Viele Eltern sind enorm verunsichert. Elterliche Autorität ist nicht mehr, was sie einmal war, vor allem ist es nicht mehr legitim, Autorität auf Gehorsamkeit aufzubauen und diese mit allen Mitteln durchzusetzen. Gewalt hat in der Kindererziehung keinen Platz mehr. Belohnungs- und Bestrafungssysteme zeigen nicht mehr die Wirkung, die sie noch vor wenigen Jahrzehnten gehabt haben. Die Autonomie der Kinder, die Eigenständigkeit und Selbständigkeit sind zu wichtigen gesellschaftlichen Werten geworden, wodurch Gehorsamkeit an Bedeutung verloren hat. Kinder wissen heute, dass sie Machtkämpfe gegen Erwachsene gewinnen können: „Was genau wollt ihr machen, wenn ich nicht in die Schule gehe?“ „Ihr könnt mich nicht zwingen!“
Die „schlechte Nachricht“ für alle Erziehenden ist: Die Kinder haben recht! Ein entschlossenes Kind kann man zu nichts zwingen, wenn man auf Gewalt verzichtet. Generell gilt: Niemand kann einen anderen Menschen verändern, auch nicht wenn man es noch so gut meint. Die „gute Nachricht“ ist, dass wir Erwachsene nicht ohnmächtig zuschauen müssen. Wir können die konstruktiven Stimmen in Kindern und Jugendlichen nähren, damit diese sich in aller Regel auch für konstruktive und entwicklungsfördernde Verhaltensweisen entscheiden.
Wichtig dabei ist, wenn Kinder und Jugendliche mit problematischen Verhaltensweisen, mit gefährdenden oder selbstverletzenden Verhalten auf sich aufmerksam machen, dass wir Erwachsene sie gerade dann nicht alleine lassen dürfen – auch nicht aus Ohnmacht und Ratlosigkeit. Manchmal verlieren wir Erwachsene allerdings unser Verantwortungsgefühl für die Herstellung eines derartigen sicheren und entwicklungs-fördernden Rahmens. Manchmal halten wir uns auch deswegen zurück, weil wir keine Energie mehr haben, keinen „Nerv“, weil wir selbst an unseren Belastungsgrenzen sind.
Dieser im Beispiel beschriebene Rückzug aus Hilflosigkeit der Eltern des 13-Jährigen ist emotional verständlich, er hat jedoch tief greifende Auswirkungen für die Entwicklung des Buben, weil dieser dadurch vermittelt bekommt: „Wir wollen nicht, dass du dich so verhältst – aber wenn Du es tust, können wir auch nichts machen.“ Diese Haltung vermag keinen Halt durch gelebte Werthaltungen der Eltern zu geben. So kommt es, dass wir gesellschaftlich beobachten, wie Kinder und Jugendliche Räume erobern, in denen sie sich ihre eigenen Regeln und ihre eigenen Gesetze schaffen in Familien, in Schulen, in öffentlichen Räumen usw.. Diese Regeln werden nicht demokratisch abgestimmt, sondern die lautesten, die coolsten und unerschrockensten Kinder und Jugendlichen, Burschen wie Mädchen, setzen sich durch. Die Gefahr dabei ist, dass gesellschaftliche Wertesysteme „aus den Fugen“ geraten. Was dann fehlt ist ein positives Korrektiv, ein erwachsenes Struktur gebendes und dadurch auch Sicherheit und Halt gebendes Element einer „Wachsamen Sorge“ für eine gute Entwicklung der Kinder und Jugendlichen – „Fürsorge“ im besten Sinn des Wortes.

Die Idee der „Wachsamen Sorge“, wie es Haim Omer und Arist von Schlippe im Buch „Stärke statt Macht“ beschrieben haben, hat ihre Wurzeln im Konzept der „Neuen Autorität“ und des „Gewaltlosen Widerstandes“. Kinder brauchen Erwachsene, die sich um eine gute Beziehung zu ihnen bemühen und in präsenter respektvoller Weise für sie da sind. Das bedingt auch die Verpflichtung gerade dort gegenwärtig zu sein, wo Kinder und Jugendliche Gefahr laufen, problematische Verhaltensweisen zu entwickeln und dort einzuschreiten, wo es notwendig ist. Die Haltung dabei ist entscheidend: Auch das Einschreiten, das Sich-einmischen, das Widerstand leisten zielt auf eine gute Beziehung ab und darauf, Machtkämpfe zu vermeiden. Erwachsene werden aktiv – nicht alleine in einer individualisierten Haltung eines „Lucky Luke“, als Einzelkämpfer für die gute Sache, sondern gemeinsam mit anderen und zwar immer dort, wo es notwendig und moralisch gefordert ist. Eltern und andere Erwachsene organisieren und formulieren beharrlichen Protest und gewaltlosen Widerstand, wo Kinder und Jugendliche sich selbst in Gefahr bringen oder wenn sie selbstdestruktives oder anderen gegenüber gewalttätiges Verhalten zeigen. Gestärkte Erwachsenenpräsenz und die Entscheidung aktiv und gemeinsam mit anderen an friedlichen Lösungen und positiven Beziehungsangeboten zu arbeiten, führt oft schon zu einer positiven Entwicklung und zur Entspannung in konfliktreichen Situationen.

Wie kann es also gelingen, dass Erwachsene sich wieder mehr einmischen und Kindern wieder mehr Halt und Orientierung geben – real und persönlich und nicht nur in Form von Vorschriften oder mittels Sanktionen und Drohungen? Wie kann es gelingen, dass Erwachsene sich nicht mehr „ausklinken“, wenn sie durch die vielfältigen Anforderungen, die an sie gestellt werden, überfordert sind?
Eltern und LehrerInnen geben selbst den wichtigsten Hinweis darauf, was dafür nötig ist. Sie klagen darüber, zu wenig Handlungsalternativen zur Verfügung zu haben, um Kindern und Jugendlichen Grenzen setzen zu können. Sie beschreiben sich selbst oft als hilflos gegenüber schwierigen, aggressiven Kindern und Jugendlichen. Sie wissen oft nicht, wie sie adäquat reagieren sollen.
Das was Erwachsene konkret und real benötigen ist Unterstützung bei ihren erzieherischen Aufgaben bei ihren eigenen und ihnen anvertrauten Kindern. Sie brauchen Aussicht auf „Erfolg“ (=Erleben von Selbstwirksamkeit) und die Gewissheit, sinnvoll und ethisch handeln zu können. Sie brauchen Ermutigung sich wieder ihrer Verantwortung bewusst zu werden, Ermächtigung durch moralische Unterstützung und konkrete Handlungsansätze mit einfachen Methoden, die ihnen ermöglichen, wirksam und respektvoll zu handeln. Schuldzuweisungen sind hier fehl am Platz und destruktiv. Wichtiger ist es, die Sorge um eine gute Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen und gemeinsam mit anderen zu entscheiden etwas für die Verbesserung der Situation zu tun. Diese Entscheidung ist der erste wichtige Schritt: Herauszutreten aus der lähmenden passiven Besorgnis um die Kinder (=Gram) und in eine Haltung der „Wachsame Sorge“ zu kommen. Wachsam sein, bedeutet hier den „Finger am Puls“ der Entwicklung der Kinder zu haben und dann aktiv zu werden, wenn es notwendig ist, wenn Beobachtungen gemacht werden, die „Alarm“ auslösen. „Wachsame Sorge“ ist ein handlungsorientierter Ansatz für Erwachsene, der auch ermöglicht, Kindern dann Freiraum zu geben, so lange sie damit umgehen können. Insofern ist „Wachsame Sorge“ sehr dynamisch zu verstehen. Erwachsene erhöhen die Präsenz stufenweise und auch konkrete Widerstandsmaßnahmen – allerdings nur wenn es die Situation erfordert. Kinder erleben die Erwachsenen dann als interessiert und präsent, was ihnen auch dabei hilft, selbst besser auf sich aufzupassen. Kurz gesagt: Gelebte „elterliche Wachsame Sorge“ hilft den Kindern dabei, „Selbstsorge“ zu betreiben. Das ist das Wichtigste dabei, dass wir nicht versuchen Kinder und Jugendliche zu kontrollieren, sondern ihnen dabei helfen, ihr Leben zu meistern. Die Aufgabe für uns Erwachsene ist, sie dabei zu begleiten.

DSA Hans Steinkellner, MSc
Institut für Neue Autorität
www.neueautoritaet.at

Anmerkung: Hinweise auf aktuelle Seminare zur „Präsenz und Wachsamen Sorge“ für Eltern und auch für Fachleute finden Sie auf der Website des Instituts für Neue Autorität.