Prävention von Gewalt gegen Säuglinge – ein Thema für Frühe Hilfen?

Frühe Hilfen sind ein ausschließlich freiwilliges Angebot zur Unterstützung von schwangeren Frauen und Familien mit Kleinkindern. Vorrangiges Ziel ist die Schaffung von guten Ausgangsbedingungen für das gesunde Aufwachsen und langfristige Lebensqualität und Gesundheit. Frühe Hilfen wollen umfassend gesundheitsförderlich und präventiv wirken. Die begleiteten Familien sind mit einer Vielzahl an Belastungen konfrontiert, die sich nachteilig auf das familiäre Gefüge auswirken können. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Belastungen nicht rechtzeitig erkannt und verringert werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Prävention von Gewalt gegen Säuglinge ein Thema, das im Rahmen der Frühen Hilfen behandelt wird.

Im Extremfall, wenn es zu gewaltsamen Übergriffen gegen einen Säugling kommt, kann das massive Folgen haben: das sogenannte Schütteltrauma führt häufig zu irreversiblen Schäden im Bereich des kindlichen Gehirns und in bis zu 30 Prozent der Fälle sogar zum Tod des Säuglings. Aus den Gesprächen mit Expertinnen und Experten ist bekannt, dass viele Eltern die Gefahr des Schüttelns unterschätzen bzw. gar nicht wissen, dass Schütteln gefährlich ist. Auch andere gewaltsame Handlungen gegen den Säugling, wie Mundzuhalten oder ins Gitterbett werfen, können sehr schädlich sein, weil das Gehirn unter Umständen nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird und der Säugling ersticken kann.

Damit es gar nicht so weit kommt, sollen sich alle Familien – möglichst noch vor der Geburt - damit auseinandersetzen, dass mit einem Kind große Veränderungen einhergehen, die mitunter auch zu großen Belastungen und Krisen in der Familie führen können. Denn nahezu alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Aber nicht immer sind die persönlichen, sozialen und materiellen Voraussetzungen so, dass es einfach ist, diesen Ansprüchen gerecht zu werden: Oft fehlt die Unterstützung durch Verwandte, Freunde und Nachbarn. Viele Familien haben finanzielle Probleme oder leben in Wohnverhältnissen, die nicht ideal für das Leben mit einem Kind sind. Psychische Belastungen, z. B. durch negative Erfahrungen in der eigenen Kindheit, können durch die Geburt (wieder) ausgelöst oder verstärkt werden. Hinzu kommt, dass das Erfahrungswissen über den Umgang mit Babys oft nicht vorhanden ist. Gleichzeitig ist der soziale Druck auf Eltern hoch, und auch der eigene Anspruch, alles selbst zu schaffen, macht vielen Müttern und Väter zu schaffen. Nachteilige Umstände, wie soziale Isolation oder materielle Belastungen, wurden durch die COVID-19-Pandemie oft noch verstärkt.

Ein Thema, das viele Eltern betrifft und auch sonst gut vorbereitete Mütter und Väter leicht in eine Ausnahmesituation bringen kann, sind sogenannte Regulationsstörungen, wie z. B. häufiges und langes Weinen und Schreien der Babys. Das viele Weinen belastet die Psyche, und gemeinsam mit anderen Stressfaktoren, wie Schlafmangel, kann es dazu kommen, dass Eltern nicht mehr klar denken und überlegt handeln können. Fachleute empfehlen daher, dass sie sich möglichst schon vor der Geburt damit befassen, dass solche Herausforderungen auf sie zukommen können, und von Strategien gehört haben, wie sie in solchen Situationen vorgehen bzw. von wo sie sich Hilfe holen können. Denn es gibt Techniken zum Beruhigen von Säuglingen, die man selbst ausprobieren oder sich von Profis zeigen lassen kann. Ziel ist immer, damit es nicht zu Überlastung und im schlimmsten Fall zu gewaltsamen Übergriffen auf das Baby kommt.

Eine übergeordnete Zielsetzung der Frühen Hilfen, die auch hier besonders wichtig ist, ist das Enttabuisieren der Inanspruchnahme von Hilfe. Bei allen Aktivitäten soll den Eltern klar vermittelt werden, dass das Annehmen von Hilfe keine Schwäche, sondern eine Stärke ist, die sich positiv auf sie selbst und insbesondere auf die Kinder in der Familie auswirken kann. Wenn Belastungen hingegen nicht bearbeitet werden, können sich diese verstärken und oft schwerwiegende und langwierige Auswirkungen auf die Kinder bis hinein ins Erwachsenenalter haben, wie etwa im Bereich der physischen und psychischen Gesundheit.

Im Rahmen einer interdisziplinären Expertengruppe, zu der das Nationale Zentrum Frühe Hilfen eingeladen hat und an der Fachleute aus den Bereichen Elternbildung, Eltern-Kind-Zentren, Frühe Hilfen, Kinder- und Jugendanwaltschaft, Kinder- und Jugendhilfe, Kindermedizin und Kinderschutz mitwirken, werden daher Maßnahmen diskutiert, um Eltern dabei zu unterstützen, die Veränderungen, die mit einer Geburt einhergehen, gut zu meistern. U. a. sind dabei die Broschüre „Normal, dass Babys weinen? Infos und Tipps für den Alltag mit einem Baby“ und die Kurzfassung der Broschüre als Folder „Wenn Babys weinen: Wie beruhige ich mein Kind“ entstanden. Um möglichst viele Familien zu erreichen, wurde der Folder in leichter Sprache verfasst und in 10 Sprachen (Arabisch, BKS, Englisch, Farsi, Polnisch, Romanes, Rumänisch, Somali, Türkisch und Ungarisch) übersetzt.

In den Materialien wird vermittelt, dass es normal ist, dass Babys weinen, dass es aber auch normal ist, dass Eltern dadurch belastet sind. Es werden Tipps gegeben, was Eltern unternehmen können, um ihr Baby zu beruhigen, und was sie tun können, um selbst ruhig zu bleiben. Die Gefahr des Schüttelns und anderer gewaltsamer Handlungen gegen den Säugling wird angesprochen, und es werden Einrichtungen angeführt, die hilfreich sein können, wenn Eltern Unterstützung benötigen. Auf der Website der Frühen Hilfen werden zusätzlich Kontaktdressen, Telefonnummern und Links zu Einrichtungen, wie den Frühe-Hilfen-Netzwerken, Hebammen, Eltern-Kind-Zentren, Familienberatungsstellen, u. v. m. in allen Bundesländern aufgelistet sowie hilfreiche Videos, teilweise auch in mehreren Sprachen, angeboten.

Das bisherige Interesse an den Materialien ist groß, und es zeigt sich, dass teilweise Personen und Einrichtungen erreicht werden können, die in der Vergangenheit noch nicht so viele Berührungspunkte mit den Frühen Hilfen hatten. Die Arbeiten der Expertengruppe werden daher fortgesetzt, aktuell mit Schwerpunkt auf Veranstaltungen zur Sensibilisierung von Fachkräften.

Nähere Informationen unter: https://www.fruehehilfen.at/de/Service/Materialien/Eltern_Familie.htm

Kontakt: Theresia Unger; Gesundheit Österreich GmbH, Nationales Zentrum Frühe Hilfen; E-Mail: fruehehilfen@goeg.at