Obligatorische psychosoziale Prozessbegleitung für unmündige Minderjährige - ein weiterer Meilenstein zur Unterstützung von Kindern

Mit dem Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 (BGBl. I Nr. 116/2013) wurden die Richtlinie 2011/93/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI, ABl. Nr. L 335 vom 17.12.2011 S. 1, in der Fassung der Berichtigung ABl. Nr. L 18 vom 21.1.2012 S. 7 und die Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI, ABl. Nr. L 101 vom 15.4.2011 S. 1 umgesetzt und damit der materiellrechtliche Opferschutz bei Sexualdelikten und Menschenhandel erheblich erweitert. Die damit verbundenen Änderungen des Strafgesetzbuches (StGB) wurden bereits im Vorfeld des Inkrafttretens medial breit erörtert; eine nochmalige Behandlung der Themen dürfte sich demzufolge in diesem Rahmen erübrigen.

Bisher wenig Beachtung gefunden hat die mit selbigem Gesetz erfolgte Änderung der Strafprozessordnung (StPO): In § 66 Abs. 2 findet sich die, am 1. Jänner 2014 in Kraft tretende Bestimmung „Opfern, die in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten und das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist jedenfalls psychosoziale Prozessbegleitung zu gewähren.“ Den Erläuterungen zum Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 zufolge (S. 19) werden damit insbesondere Art. 18 und 19 Abs. 1 bis 3 der erstgenannten Richtlinie umgesetzt, die vorsehen, dass Kindern, die Opfer einer der dort zitierten Sexualtaten geworden sind, Betreuung und Unterstützung zu gewähren ist. Die übrigen vor allem in Art. 19 Abs. 5 (Betreuung und Unterstützung für Angehörige solcher Opfer) und in Art. 20 vorgesehenen Maßnahmen, wie etwa juristische Prozessbegleitung, schonende Vernehmung des Opfers oder Aufzeichnung der Vernehmung des Opfers sind – so die Erläuterungen weiters – seit langem gängige Praxis und bedürfen keiner weiteren Umsetzung.

Mit dieser nunmehr obligatorischen psychosozialen Prozessbegleitung für unmündig Minderjährige entfallen bisher unabdingbare, teils zeitraubende Handlungen, wie z.B. die Einholung der Zustimmung der oder des Obsorgeberechtigten zur Gewährung von Prozessbegleitung durch hiezu vom Bundes¬ministerium für Justiz beauftragte, bewährte und geeignete Opferhilfeeinrichtungen und kann unmündigen Opfern rasch und unbürokratisch geholfen werden. Der Zeitraum bis zum Inkrafttreten dieser Bestimmung wird dazu genützt werden müssen, dieser Neuregelung entsprechende Bekanntheit zu verschaffen; dies betrifft nicht nur die handelnden Akteure im Rahmen der Sicherheitsexekutive und der Justiz sondern auch die Jugendhilfeträger und die Opferhilfeeinrichtungen.

Geeignete Foren zur Präsentation und Diskussion des „ergänzten 66er“ der StPO sind auch die sog. Runden Tische Prozessbegleitung, die seit dem Jahr 2010 einmal jährlich österreichweit bei allen in Strafsachen tätigen Gerichtshöfen erster Instanz durchgeführt werden und der professionellen Koope¬ration und dem regelmäßigen Informationsaustausch zwischen den mit Prozessbegleitung befassten Berufsgruppen dienen.

Diese Vernetzungsforen waren es auch, die bereits im Vorfeld der gesetzlichen Änderung die Ergän¬zung des § 66 Abs. 2 StPO angeregt haben: Bei mehreren dieser „Runden Tische“ im Jahr 2011 wurde von teilnehmenden Psychologinnen und Psychologen auf die Wichtigkeit rascher psychologischer Betreuung von Opfern und insbesondere von unmündig Minderjährigen hingewiesen, da bei diesen ein rascher Vergessensprozess einsetzt, sodass die Erstaussage in der Regel den größten Wahrheitsgehalt aufweist. Angeregt wurde demzufolge, in Fällen, in denen unmündig Minderjährige Opfer von (sexueller) Gewalt geworden sind, (psychosoziale) Prozessbegleitung zwingend vorzusehen. Dieser Anregung ist der Gesetzgeber mit dem Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 gefolgt, wodurch die Notwendigkeit und Nützlichkeit der in der Prozessbegleitung unabdingbaren Vernetzungsarbeit aber¬mals unter Beweis gestellt werden konnte.

Mario Thurner
Managementzentrum Opferhilfe (MZ.O)
Eine Einrichtung des Bundesministeriums für Justiz
thurner(at)clc.or.at