Lebensbejahend und stark: Die Bedeutung der Resilienz

„Wenn die Wellen über mir zusammenschlagen, tauche ich tiefer, um nach Perlen zu suchen.“ Das war die berührende Antwort der jüdischen Autorin Mascha Kaléko auf persönlichen Tragödien. Es sind Worte, die Resilienz ausdrücken.

Familien, die mit einem kranken oder behinderten Kind leben, sind in einer sehr persönlichen Weise betroffen und müssen sich vielfältigen Belastungen stellen. Psychischer und physischer Stress sind ständige Begleiter im Alltag.
Durch finanzielle Hilfeleistungen, familienentlastende Dienste und ein funktionierendes soziales Netz kann es gelingen, dass ein Teil der Belastungen bewältigt wird.
Auf der anderen Seite sind es die eigenen persönlichen Ressourcen, die zum guten Gelingen des Alltags beitragen.

Wie aber schaffen es Menschen, starken Belastungen stand zu halten ohne psychisch krank zu werden?

Mit dieser Frage beschäftigte sich der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky. Er untersuchte Frauen, die während des Nationalsozialismus das Konzentrationslager überlebt hatten und ihm fiel auf, dass sich immerhin 29 Prozent der Frauen, trotz der massiven psychischen und physischen Belastungen, denen sie ausgesetzt gewesen waren, in einem psychisch gesunden Zustand befanden.
Antonovsky begann zu forschen und erkannte, dass die positive Grundhaltung des Menschen gegenüber der Welt, dem eigenen Leben und seine Fähigkeit, die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nützen, ein wesentlicher Faktor sind, um gesund zu bleiben.
Tatsächlich gibt es keinen Menschen, der in jeder Lebenslage mit allen Belastungen fertig wird. Sehr wohl gibt es aber Menschen, die Herausforderungen bewältigen, an denen andere zerbrechen.
Die Fähigkeit, schwierige und belastende Lebenssituationen zu meistern, so könnte man es auf eine kurze Formel bringen, bezeichnet Resilienz.
Resilienz ist nicht angeboren und auch wenn der Grundstein in den frühesten Lebensjahren gelegt wird, ist es laut Hirnforschung bis ins hohe Alter möglich, die seelische Widerstandskraft von Menschen zu stärken.

Wie kann man Resilienz stärken?

Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen, der soziale Kontakte braucht. Sich gesehen und angenommen fühlen ist für die deutsche Psychoanalytikerin und Pionierin der Traumatherapie Luise Reddemann der wichtigste Resilienzfaktor überhaupt. „Was Menschen am meisten unterstützt, glücklich zu werden“, so Reddemann, „ist das Gefühl um seiner selbst geliebt zu werden.“

Der Neurobiologe Gerald Hüther erklärt, dass aus positiven Erfahrungen mit anderen Menschen ein reicher Erfahrungsschatz entsteht, der unsere Sicht auf die Welt verändert. Die Überzeugung, dass man den Anforderungen des Lebens begegnen kann, dass Probleme nicht unüberwindlich sind und einen Sinn haben, geben Hoffnung und Zuversicht. Ohne das Erleben dieser Sinnhaftigkeit neigt der Mensch dazu, das Leben als Last zu empfinden.
Der tschechische Politiker und Schriftsteller Václav Havel meinte einmal: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung ist, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“ Diese Interpretation von Hoffnung gibt Kraft, Neues zu wagen, selbst unter Bedingungen, die hoffnungslos erscheinen.
In diesem Sinne bleibt man handlungsfähig und versteht sich als aktiver Gestalter, der sich auch nicht davor scheut, sich rechtzeitig Hilfe und Unterstützung zu holen.
Auch in lebensbedrohlichen Situationen entwickeln Menschen Strategien, um handlungsfähig zu bleiben. Wie durch Antonovsky erforscht, spielt die Imagination eine zentrale Rolle. In Extremsituationen ist es unwichtig, ob die Vorstellungen realistisch sind oder nicht. Dieses Überleben nach dem Überleben des Holocaust von Juden und Jüdinnen gibt ein eindrucksvolles Zeugnis seelischer Widerstandskraft.

Ich möchte Ihnen das Fallbeispiel eines 11-jährigen Mädchens erzählen.
Seine Mutter ist gestorben, der Vater lebt in einem anderen Land, eine Fremdunterbringung des Mädchens ist gescheitert, aufgrund schwerer Verhaltensauffälligkeiten und Leistungsdefizite kann das Mädchen nicht beschult werden. Weiters zeigt es Anzeichen von Verwahrlosung.
Das Mädchen, das ich ihnen soeben vorgestellt habe, kennen Sie. Es handelt sich um Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf. Das Mädchen mit den roten Zöpfen ist DAS Symbol für Resilienz.
Pippi Langstrumpf packt Probleme mit viel Kreativität an. Sie probiert aus und gestaltet sich ihre Welt. Sie weiß: Was tut mir gut? Was möchte ich nicht? Sie sieht der Gefahr mutig ins Auge und gibt nicht auf. Sie feiert mit Stolz, wenn ihr etwas gelingt und wenn es ihr zu viel wird, nimmt sie sich bewusst Zeit zum Nachdenken, Ausruhen und Träumen. Pippi Langstrumpf strahlt Lebendigkeit aus und traut sich, wütend zu sein. Auch wenn es gesellschaftlich unerwünscht ist, Wut offenbart Werte und Bedürfnisse, die einer Person wichtig sind. Wesentlich ist nur, eine angemessene Form für den Ausdruck von Wut zu finden. Pippi hat eine besondere Beziehung zu Tieren und wir wissen um die Wärme und Zuneigung, die Tiere geben können. Und nicht zuletzt stehen Thomas und Annika Pippi zur Seite, die sie mit Freude beschenkt.

Pippi Langstrumpf hat mit ihrer Art und Weise Generationen von Menschen für sich gewonnen. Ich wünsche Ihnen, dass auch in Ihrem Inneren eine kleine Pippi Langstrumpf verborgen ist und Sie Zugang zu einer tiefen Kraftquelle, die in jedem Menschen schlummert, finden und aus schwierigen Krisen gestärkt hervorgehen.

Mag. Vera Alexandra Schuster ist Volksschullehrerin, Sonder- und Heilpädagogin und Säuglings-Kleinkind-Eltern-Beraterin in Wien.
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