Kinderrechte - Oft zitiert, wie gelebt? Kinderrechte - Wunsch und Wirklichkeit

Bald ein Vierteljahrhundert nachdem das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (kurz: Kinderrechtekonvention-KRK) – unbestritten das Flaggschiff unter den zielgruppenspezifischen Rechtskodifikationen "in the interest of the child" – von der internationalen Staatengemeinschaft (außer USA und Somalia) angenommen worden ist (20.11.1989) – darf die Frage gestellt werden, ob sich die Rechte von Kindern in der gesellschaftlichen Alltagswelt durchgesetzt haben oder ob die Idee einer kinder(rechte)freundlichen Gesellschaft in den Unterzeichnerstaaten, darunter Österreich, selbst heute noch "in den Kinderschuhen steckt"?

Um dieser Frage für Österreich nachzugehen, sind folgende Eckpunkte festzuhalten: Ratifiziert am 6. August 1992 und kundgemacht mit BGBl. 1993/7, sind die insgesamt 54 Artikel der Kinderrechtekonvention am 5. September 1992 fixer Teil des österreichischen Rechts geworden.

Rechte des Kindes in Gesetzen

Eine Anmerkung wert ist in diesem Zusammenhang – aus mittlerweile historischer Sicht, dass im Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 (JWG 1989) bzw. im Kindschaftsrechts-ÄnderungsG 1989 (KindRÄG 1989) mit keinem Wort Bezug genommen wurde, dass auf internationaler Ebene zeitgleich intensive Vorbereitungen zur Kodifizierung eines universell geltenden Katalogs an Kinderrechten (nämlich der KRK) im Gange waren. In den Gesetzeserläuterungen zum Kindschaftsrechtsänderungsgesetz 2001 (KindRÄG 2001) war schließlich davon die Rede, dass von der Kinderrechtekonvention „wertvolle Impulse“ für die Reform ausgehen, allerdings „kein zwingender Handlungsbedarf“ bestünde. Lediglich wird Verweise auf die Kinderrechtekonvention finden sich z.B. bei folgenden Regelungen: »Obsorge beider Eltern‹‹ (§§ 167 und 177 ABGB): Art. 18 KRK - “gleichteilige elterliche Verantwortlichkeit beider Elternteile“ für die Erziehung und Entwicklung des Kindes; »Besuchsrecht des Kindes‹‹ (§ 178 Abs 3 ABGB): Art. 9 Abs. 3 KRK – „Recht des Kindes auf regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen“; »selbständige Verfahrensfähigkeit des Kindes in Pflege-, Erziehungs- und Besuchsrechtsfragen‹‹ (§ 182a AußStrG): Art. 12 KRK – „Berücksichtigung des Kindeswillens“.

Auch in der Folge findet sich in mehreren einschlägigen Gesetzen kein Hinweis auf die Kinderrechtekonvention: beispielsweise angeführt sei hier das Kinderbeistand-Gesetz, das Familienrechtsänderungsgesetz 2009 (FamRÄG 2009), das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie oder das Tabakgesetz; der fehlende Hinweis auf die Kinderrechtekonvention im Tabakgesetz ist umso befremdlicher, als im WHO-Übereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs ausdrücklich auf das Recht des Kindes auf Gesundheit gemäß Artikel 24 der Kinderrechtekonvention verwiesen wird.

Vereinzelt wird die Kinderrechtekonvention in neueren Regelungsmaterien als Argumentationshilfe herangezogen, wie etwa im 2. Gewaltschutzgesetz: hier werden die Art. 3 (Kindeswohl), Art. 24 (Recht des Kindes auf Gesundheit) und Art. 39 (Verbot sekundärer Viktimisierung) angeführt, allerdings nicht Art. 19 (Schutz vor Gewalt, Misshandlung oder Verwahrlosung).
Mehrfach Bezug auf die Kinderrechtekonvention nimmt auch der mittlerweile zum vierten Mal aufgrund des kostenargumentierten Widerstands einzelner Länder in der Warteschleife hängende Entwurf zum Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz (zuletzt B-KJHG 2012).

Eine "Sonderbestimmung" im Fremdenpolizeigesetz 2005, und zwar der § 67 Abs. 1, nimmt in seinem Wortlaut einen fraglichen Bezug auf die Kinderrechekonvention:
- § 67. (1) ………
Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Rechte des Kindes in der Rechtsprechung der Höchstgerichte

Als ein weiteres Indiz zur Beantwortung der Frage, ob Kinderrechte mittlerweile in der österreichischen Rechtsrealität "salonfähig" geworden sind, kann die Tatsache gewertet werden, ob und inwieweit die Kinderrechtekonvention von den Höchstgerichten wahrgenommen und als Entscheidungshilfe für deren Rechtsprechung herangezogen wird:
Der Verfassungsgerichtshof hat bislang gerade in einem einzigen Fall einen Anlass gesehen, die Kinderrechtekonvention in seinen Entscheidungen zu berücksichtigen (VfGH-Erkenntnis vom 9.03.2011, G287/09 zur Glaubens- und Gewissenfreiheit), nicht hingegen im richtungsweisenden Erkenntnis vom 28. Juni 2012, zur Frage der Ungleichbehandlung des Vaters eines unehelichen Kindes (G 114/11-12).
Der Verwaltungsgerichtshof wiederum berief sich in einer Serie von Erkenntnissen auf die nicht unmittelbare Anwendbarkeit der Kinderrechtekonvention, weshalb eben aus Art 10 Abs. 1 KRK beispielsweise kein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß 113 Abs. 10 Fremdengesetz abgeleitet werden könne. Im Erkenntnis vom 29.04.2011, 2009/09/0132, stützte der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung auf das Fakultativprotokoll der Kinderrechtekonvention betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie.
Der Oberste Gerichtshof hingegen nahm mehrfach Bezug auf die Kinderrechtekonvention, z.B. bei der Beurteilung der Frage nach Zulässigkeit der Wohnsitzverlegung eines Kindes (Iran) , zum Anspruch des Kindes auf persönlichen Verkehr mit dem Elternteil, bei dem es nicht aufwächst (6 Ob 2398/96g), bei der Beurteilung der Anerkennung von ausländischen Adoptionen (Kongo) , in einer Rechtssache betreffend einen Interessenkonflikt zwischen einer Inkognito-Adoption und dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Eltern gemäß Art. 7 KRK (2 Ob 129/06v). In den Rechtssachen 3 Ob 505/96, 9 Ob A330/97p, 8 Ob A68/04i und 8 Ob A63/09m schließlich fanden sich Verweise auf den „Expertenbericht über die Rechte des Kindes 2(1993).

Rechte des Kindes in der Verfassung

Hatte der Nationalrat bereits im Zuge der parlamentarischen Behandlung des "Expertenberichts über die Rechte des Kindern" am 14. Juli 1994 angeregt, die verfassungsrechtliche Verankerung der Grundsätze der Kinderrechtekonvention prüfen zu lassen (E156 - NR XVIII. GP), so ist dies mit dem am 20. Jänner 2011 beschlossenen und am 16. Februar 2011 in Kraft getretenen Bundesverfassungsgesetz über die Rechte der Kinder (BGBl. I Nr. 4/2011) – also knapp zwanzig Jahre nach der Ratifikation der Kinderrechtekonvention (BGBl. Nr. 7/1993) – Wirklichkeit geworden.
Mit dem BVG über die Rechte der Kinder sind auf verfassungsgesetzlicher Stufe:

  • der Anspruch von Kindern auf den für ihr Wohlergehen notwendigen Schutz und Fürsorge,
  • der Anspruch auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung und
  • das Recht auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Eltern, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.
  • das schon in der Kinderrechtekonvention (Art. 3 KRK) und in Art. 24 Grundrechte-Charta postulierte Grundprinzip der vorrangigen Beachtung des Wohles des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen,
  • die Wahrung der Interessen von Kindern – auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit
  • das absolute Verbot von Kinderarbeit,
  • das Recht des Kindes auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen es betreffenden Angelegenheiten,
  • der Anspruch fremduntergebrachter Kinder auf besonderen Schutz und Beistand des Staates sowie
  • der Anspruch eines Kindes mit Behinderung auf den seinen besonderen Bedürfnissen entsprechenden Schutz und Fürsorge
  • Schutz vor Gewalt und Ausbeutung.

Rechte des Kindes in der Alltagswelt?

Gesetze allein machen Kinder nicht glücklich! Naiv wäre solches zu denken oder zu glauben. Gerade durch die normative Kraft verfassungsgesetzlich verankerter Kinderrechte hat jeder Akt der Gesetzgebung und der Verwaltung folgendem Prüfmaßstab standzuhalten: Werden die Interessen von Kindern gewahrt und wird dem Wohl des Kindes in den verschiedenen Lebenssituationen und Interessenkonstellationen Vorrang gegenüber sonstigen Erwägungen eingeräumt im Sinne der Sicherstellung einer bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung?

WFA-Kinder-und-Jugend-Verordnung

Dieser etwas sperrige Begriff handelt von der wirkungsorientierten Folgenabschätzung v.a. von Gesetzesvorhaben auf Kinder und junge Menschen. Mit diesem neu geschaffenen Modell soll künftighin insbesondere geprüft werden, ob durch Gesetzesvorhaben

  1. der Schutz, die Förderung und die Betreuung von Kindern oder
  2. der Unterhalt für Kinder und der Ausgleichs für Kinderkosten oder
  3. die Zukunftssicherung junger Menschen in mittelfristiger Perspektive zentral betroffen sind.

Indem mit der am 1. Jänner 2013 in Kraft tretenden wirkungsorientierten Folgenabschätzung (WFA) vor allem legistische Vorhaben einem ex ante Evaluationsprozess unterzogen werden, soll die Basis dafür geschaffen werden, dass künftig die in der Erwachsenenwelt übliche Erwachsenenperspektive in einer Weise ergänzt wird, dass die mit der Vorbereitung von Gesetzen befassten Ministerien und die dort tätigen Legistinnen und Legisten im Rahmen eines solchen ex-ante Monitoring - Prozesses angehalten sind, sich "in die Schuhe" von Kindern und jungen Menschen zu versetzen und damit die im BVG über die Rechte von Kindern bzw. in der Kinderrechtekonvention verankerten Rechtsverbriefungen in die einfachgesetzliche Lebenswirklichkeit umzusetzen.