Kinder haben ein Recht auf Gesundheit. Wie können Sie dafür interessiert werden?

In der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahre 1946, die von fast allen Staaten der Welt ratifiziert wurde, wird Gesundheit als grundlegendes Menschenrecht bezeichnet und als „Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ definiert. Ausdrücklich betont wird dabei, dass Gesundheit weit mehr sei als die „bloße Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen.“ Im Jahre 1986 präzisierte die WHO in der Ottawa Charta diese Definition noch weiter, indem Sie den Begriff „Gesundheitsförderung“ prägte und diese mit der Vermittlung jener Fähigkeiten gleichsetzte, die jemand benötigt, um Bedürfnisse zu befriedigen, Wünsche und Hoffnungen wahrzunehmen und zu verwirklichen sowie die Anforderungen der Umwelt zu meistern bzw. diese nach eigenen Bedürfnissen zu verändern.

Diesem Verständnis folgend geht es keinesfalls darum, alle potentiellen Risiken zu meiden, sondern darum, ein möglichst erfülltes und glückliches Leben anzustreben und zu realisieren. – Wer alles, was angenehm ist und Spaß macht, aber auch risikobehaftet ist, unterlässt, lebt wahrscheinlich nicht länger, bestenfalls kommt ihm/ihr das Leben viel länger vor. Der Weg zum Ziel „Gesundheit“ soll laut WHO ausdrücklich nicht ein paternalistischer sein, der bestimmte Verhaltensweisen propagiert, Menschen zu manipulieren oder gar zu zwingen versucht. Das Mittel der Wahl ist ein partizipativ-emanzipatorischer Zugang, welcher Menschen dabei unterstützt, grundlegende Fähigkeiten zur Lebensbewältigung zu entwickeln, damit diese so ihren ganz individuellen Weg zu einem lebenswerten – und damit gesunden – Leben finden.

Die von der WHO vorgegebene Methode zur Gesundheitsförderung baut auf grundlegende Prinzipien, wie Menschen in einer freien demokratischen Gesellschaft miteinander umgehen sollten. Diese Prinzipien determinieren zusehends das Selbstverständnis demokratischer Gesellschaften und sind in Österreich seit vielen Jahren in den Bereichen Erziehung und Bildung gesetzlich verankert. Zusehends weniger Menschen sind bereit, Einschränkungen ihrer demokratischen Grundrechte im Alltags- und Berufsleben hinzunehmen, und auch Heranwachsende erleben heutzutage autoritäres und paternalistisches Verhalten von Eltern und LehrerInnen als inadäquat und übergriffig. Wenn die Grundregeln demokratischer Interaktion nicht einhalten werden, d.h. wenn manipuliert, überredet oder genötigt wird, entsteht in der Regel emotionaler Widerstand; ein Phänomen, das in der Sozialpsychologie als „Reaktanz“ bezeichnet wird. Jede/r kennt dieses spontane Gefühl der Auflehnung gegen als ungerechtfertigt erlebte Einflussnahmen durch Dritte wohl gut aus eigener Erfahrung und weiß, wie man sich in dieser emotionalen Aufgewühltheit zu Äußerungen oder Verhaltensweisen hinreißen lässt, die man - sachlich analysiert - als hochgradig unvernünftig und vielleicht sogar selbstschädigend beurteilen würde.

Menschen lassen sich durchwegs durch andere Menschen beeinflussen – allerdings primär von solchen Menschen, die sie schätzen, zu denen sie also „einen guten Draht“ haben bzw. die sie bewundern. Man spricht vom „Lernen am Modell“, das im Wesentlichen unbewusst passiert und in jeder Gesellschaft eine zentrale Funktion bei der Weitergabe von kulturellen Werten und bei der Aneignung akzeptierter Verhaltensweisen hat. Diese Orientierung an Meinungen und Verhaltensweisen anderer und eine darauf folgende Einstellungsänderung und Adaption des eigenen Verhaltens geschieht nicht schlagartig, sondern ist ein langwieriger Anpassungsprozess. Die Restrukturierung von persönlichen Überzeugungen und handlungsleitenden Konzepten braucht Zeit.
All das bis jetzt Gesagte gilt sowohl für Heranwachsende als auch Erwachsene. Es gibt zwischen diesen aber auch fundamentale Unterschiede, die man – möchte man erfolgreich Wissen vermitteln und Einstellungsänderungen bewirken – beachten sollte. Zunächst übernehmen Kinder von den Erwachsenen ihrer Umgebung die dort vorhandenen bzw. vertretenen Wissensbestände, Einstellungen und Verhaltensweisen. In der Phase der Pubertät, in der sich ein wesentlicher Schritt in Richtung eigene Identität vollzieht, werden diese, zunächst unbedarft übernommenen Inhalte einer kritischen Analyse unterzogen und nach erfolgter Prüfung entweder für die eigene Person akzeptiert oder verworfen. Diese Entwicklungsphase ist durch Experimente und Grenzüberschreitungen, oft auch durch die Erfahrung des Scheiterns geprägt. Diese Lernprozesse können Erwachsene den Heranwachsenden nicht abnehmen. Erziehende, die infolge ihrer Lebenserfahrung manches Scheitern antizipieren können und ihren Kindern diese unangenehmen Erfahrungen gerne ersparen möchten, sind angehalten, Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kinder zu setzen, Probleme letztlich selbst bewältigen zu können und an diesen Erfahrungen zu wachsen. Am hilfreichsten können Erwachsene ihre Rolle als quasi „Zaungäste“ beim Parcours der Persönlichkeitsfindung ihrer Kinder erfüllen, indem sie mit viel Geduld und Toleranz diesen zur Seite stehen und sensibel und empathisch Unterstützung gewähren. Denn Jugendliche sind durchaus bereit, Hilfestellungen von Erwachsenen zu akzeptieren und längerfristig deren Verhaltensweisen und Ansichten zu übernehmen, wenn ihnen diese vertrauenswürdig erscheinen und sie sich von ihnen ernst genommen fühlen.

Das Ziel, ein möglichst erfülltes und glückliches – in den Worten der WHO also ein „gesundes“ – Leben zu führen, teilen die meisten Heranwachsenden mit ihren Eltern, zumindest solange die Erwachsenen sie nicht durch unangemessene Interventionen zum blinden Widerstand provozieren, sondern ihnen unterstützend zur Seite stehen und auch Verhaltensweisen akzeptieren, die nicht exakt ihren Vorstellungen entsprechen. Für viele Erwachsene ist es allerdings schwer anzuerkennen, dass es viele unterschiedliche Wege zu einem glücklichen Leben gibt, weil die Entscheidung der Kinder für andere Wege als Kritik am elterlichen Lebensstil empfunden wird . Lassen sich Eltern in diesem Zusammenhang auf eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensstil ein, kann dies auch schmerzhafte Erkenntnisse zur Folge haben, wie z.B. dass nicht alles im eigenen Leben optimal verlaufen ist oder dass man selbst gerne so manches anders gemacht hätte. In der Erziehung sollte es aber nicht um die Rechtfertigung des eigenen Lebens gehen, sondern darum, Kindern förderliche Entwicklungsbedingungen zu gewähren und ihnen ein breites Spektrum an Möglichkeiten zu eröffnen. Eltern sollten anerkennen, wenn es ihren Kindern gelingt, eigene alternative Wege zu gehen, anstatt zu erwarten, dass diese das elterliche Leben eins zu eins zu kopieren.

Dr. Alfred Uhl
SucFoDok des Anton-Proksch-Instituts
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