Inklusion - Elementarpädagogik, Schule und Heterogenität

Kinder sind verschieden und das ist gut so. Nach den ersten Jahren in einer Form von Familie übernimmt der Staat eine seiner zentralen Aufgaben, nämlich diejenige, Bildung bereitzustellen. Kinder treten in die erste Bildungsinstitution, meist eine elementarpädagogische Einrichtung (den Kindergarten), ein.

Das Aufeinandertreffen der unterschiedlichsten jungen Menschen mit ihren ganz spezifischen Bedürfnissen und ihr jeweils möglichst optimales Fordern und Fördern ist seit vielen Jahren die zentrale Herausforderung in der Elementarpädagogik und in der Schule.

Inklusive Pädagogik

Dieser Ansatz steht für die Idee einer „Schule für alle“ in der kein Kind fürchten muss, aufgrund besonderer Schwächen bzw. Stärken weniger akzeptiert, oder gar aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.
Inklusion gilt hierbei als verwirklicht, wenn jeder Mensch in seiner Individualität darüber hinausgehend die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an der Gesellschaft teilzuhaben oder teilzunehmen. Unterschiede und Abweichungen werden bewusst wahrgenommen, aber in ihrer Bedeutung eingeschränkt oder gar aufgehoben. Ihr Vorhandensein wird von der Gesellschaft weder in Frage gestellt noch als Besonderheit gesehen.

Inklusive Pädagogik befasst sich insofern auch nicht nur mit Kindern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf, sondern mit einem gleichberechtigten, barrierefreien und qualitätsvollen Umgang mit Heterogenität aufgrund unterschiedlicher Begabungen, Beeinträchtigungen, sozialer und kultureller Herkunft, geschlechtsspezifischer und altersbedingter Bedarfe.

Die UN Konvention 2008 ist kein Sparprogramm

Am 3. Mai 2008 trat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Kraft. Österreich hat sich verpflichtet die darin genannten Rechte umgehend umzusetzen und dies dazu auch gesetzlich beschlossen (BGBl. III Nr. 155/2008).

Diese Bestimmungen verpflichten die ratifizierenden Staaten ua. dazu, Menschen mit Beeinträchtigungen den Schulbesuch in der nächstgelegenen Regelschule zu ermöglichen. Sonderschulen sollen nach dieser UN Konvention geschlossen werden.

Es ist mir wichtig an dieser Stelle anzuführen, dass diese Konvention nicht als Sparprogramm missverstanden werden darf. Alle sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer müssen in die Regelschulen übernommen werden, um unterstützt durch Assistenz den Schülerinnen und Schülern individuell bestmögliche Förderung zu ermöglichen. Mehr noch, möglichst alle Pädagoginnen und Pädagogen soll(t)en in Zukunft im Rahmen ihrer Ausbildung sonderpädagogische Grundlagen lernen. Denn eines muss klar sein – Inklusion braucht ausreichende Ressourcen, wenn sie professionell funktionieren soll. Menschen, bauliche Adaptionen und auch die vielen koordinativen Aufgaben brauchen Mittel, Raum und Zeit.

Sonderschule ja oder nein?

Alle Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung sind an dieser Stelle besonders verletzlich und unsicher. Auch ich kann hier keine letztgültige Entscheidungsgrundlage bieten, ersuche aber die werten Leserinnen und Leser, sich auf den folgenden Bericht einzulassen. Eine Erfahrung aus Reutte in Tirol, wo Inklusion stattfindet. Tagtäglich und mit Erfolg für alle Beteiligten.

Eva, Hannah, Ernst, Benedikt, Noah, Daniel…
Inklusion bekommt durch Namen ein Gesicht!

Der Bezirk Reutte im Außerfern in Tirol der 80 er Jahre ist wie der Rest Österreichs. Kinder mit Beeinträchtigung kommen in die Sonderschule im Bezirk oder werden intern in einem der weiter entfernten Institute betreut. Ohne Alternative.

Die Geschichte hat die drei mit einem engen Band verknüpft. Roland Astl, Lehrer und Pädagoge, Heinz Forcher, Vater eines beeinträchtigten Buben und Norbert Syrow, Direktor der damals einzigen Sonderschule im Bezirk Reutte in Tirol.

1985 setzen sie gemeinsam einen entscheidenden Schritt. Unterstützt von Kolleginnen und Kollegen, Eltern nicht behinderter Kinder, Fachleuten und einzelnen mutigen Beamten wird beschlossen, keine neue 1. Klasse mehr in der Sonderschule zu eröffnen. Alle Kinder werden stattdessen in die Volksschulen des Bezirks aufgenommen. Jedes Kind bekommt somit das Recht, in die nächstgelegene Schule zu gehen. Unabhängig von Art oder Schwere einer etwaigen Beeinträchtigung werden sie vor Ort optimal betreut statt dazu weit zu reisen.

Was folgt sind zahllose Jahre, voll mit kraftaufreibender Überzeugungsarbeit und voll mit Anfeindungen.

Heute, ein Viertel Jahrhundert später, sind sie gemeinsam ein gutes Stück des Weges weiter. Bereit zu sein, Kinder ganz auf- und anzunehmen, ist Haltung und Selbstverständnis zugleich geworden. Kindergärten, Schulen, politisch Verantwortliche, sie ziehen an einem Strang.
Kinder bleiben so von Anfang an in ihrem gewohnten Umfeld, sie machen sich miteinander vertraut und werden zur Gemeinschaft die so bunt sein darf, wie die einzelnen Menschen, aus der sie sich zusammensetzt.

Die vor Ort letztlich zuständige Bezirksinspektorin stellt die Kernfrage: „Was braucht jedes Kind?“ Sie weiß, Schule und alle Beteiligten sind tagtäglich lernende Systeme. Strukturen wurden geschaffen, dieses Lernen jedem einzelnen Kind anzupassen. Im Bezirk Reutte bekommt Inklusion durch die konkreten Kinder Namen.

Heinz Forcher bringt es auf seinen Punkt: „Ich bin überzeugt, dass alles im Leben einen tieferen Sinn hat, man muss ihn nur für sich selbst entdecken. Für mich bedeutet dies, dass ich durch die Behinderung meines Sohnes zugleich einen Auftrag erhalten habe, mich für die notwendigen Veränderungen einzusetzen“