HAUPT SACHE KUNST

von Ricky May-Wolsdorff

Seit fast fünf Jahren leite ich das Kulturförderungsprojekt des european grouptheater „jugendtheatercompany NÖ“, zu dem junge Menschen im Alter von 14 - 21 Jahren eingeladen werden, mit Profis innerhalb eines Jahres ein Theaterstück zu erarbeiten(Das Ensemble besteht aus ca. 40- 50 Jugendlichen). Ziel ist es, eine Produktion herzustellen, die vor einem großen Publikum, auf einer großen Bühne mit Erfolg gezeigt werden kann. Das Schauspiel ist ein Handwerk, das erlernt sein muss. Im Zuge der Ausbildung lernen die jungen Leute die für den Beruf des Schauspielers erforderlichen Fähigkeiten. Wichtig ist v.a. die Sprache. Eine wichtige Grundvoraussetzung ist die richtige Atemtechnik, da Atmung die Sprache enorm beeinträchtigt. Ein Säugling beispielsweise beherrscht die Bauch- und Zwerchfellatmung – was sich ein Schauspieler mühevoll erarbeiten muss - von Geburt an. Stimmbänder, Öffnungen und Resonanzkörper müssen erspürt und genutzt werden. Man sollte sich bewusst machen, wie Sprache eigentlich funktioniert.

Der Mensch ist ein nachahmendes Wesen und leider übernehmen Kinder die falsche Atmung oft von den Eltern. Es gibt die unterschiedlichsten Sprachstörungen: Das Problem liegt zumeist in den Verschiebungen der Vokale und der Konsonanten. Der Problematik von Lehrern beispielsweise, dass sie ihre Stimme im Unterricht zu sehr fordern und über Heiserkeit klagen, könnte man mit einer Grundschulung für Sprache entgegen wirken. Der Vokalsitz muss stimmen, auch die Arbeit mit den Gesichtsmuskeln muss erlernt werden. Für all diese Bereiche gibt es unterschiedliche Übungen. In das Projekt werden nicht nur Jugendliche aufgenommen, die schauspielerisch begabt sind, sondern auch Kinder, denen das Programm in ihrer persönlichen Entwicklung hilft, ihrer Seele gut tut und ihnen dazu dient, frei zu werden. Es ist schön zu beobachten wie sich Jugendliche im Laufe des Projekts entwickeln. Ich bekomme oft Rückmeldungen, dass die Jugendlichen plötzlich ganz anders lesen als ihre Schulkollegen und auch ein besseres Körperempfinden entwickeln. Ganz wichtig ist auch, dass die Kinder den Erfolg miterleben und Bestätigung erhalten. Ein weiterer Punkt ist auch das Körperbewusstsein, das einen wesentlichen Bestandteil schauspielerischer Tätigkeit ausmacht. Auch für diesen Bereich gibt es zahlreiche Übungen. Das Theaterspielen beruht auf persönlichem Empfinden und Erfahren. Die körperliche Disziplin und die Disziplin in der Konzentration werden durch das Theaterspielen ganz massiv trainiert.

Im Zuge der Ausbildung werden weiters das Raumempfinden auf der Bühne und die Wahrnehmung geschult. Ich arbeite mit den Jugendlichen an der Wachheit in der Wahrnehmung. Sie lernen, sich selbst zu erfahren, aber auch den Anderen wahr zu nehmen. Die Kinder, die in die Jugendcompany kommen, haben oft enorme Konzentrationsschwächen. Die Jugendlichen sind – so wie jeder professionelle Schauspieler auch - gefordert, jede Sekunde – auch wenn sie gerade nicht sprechen - präsent zu sein. Die Kinder haben zu Beginn einfach nicht die Kondition, die
erforderliche Konzentration zu halten. Wir arbeiten auch daran, die Jugendlichen in ihrer Kreativität zu ermutigen. Es gibt eine Wahrheit und wir arbeiten permanent daran. Es gibt unzählige Arten zu dieser Wahrheit zu gelangen. Und diese Wege, die Möglichkeiten der Ausdrucksfähigkeit müssen stetig erweitert werden. Man arbeitet in der Kunst permanent, es gibt hier keinen Stillstand. Die Persönlichkeitsentwicklung die die Jugendlichen im Laufe des Projekts durchmachen ist unbeschreiblich und das spüren sie auch selbst. Wichtig ist auch das Vertrauen zu sich selbst. Während des Spielens entdeckt man viele Facetten an sich – oft auch Dinge, die einem nicht angenehm sind. Jeder Mensch hat alles in sich. Manches muss für die jeweilige Rolle unterdrückt und manches aktiv herausgearbeitet werden. Dieses sich selbst kennen lernen ermöglicht auch weniger angenehme Seiten an sich, nicht mehr als Bedrohung zu empfinden, sondern damit umgehen zu lernen. Wir arbeiten auch an der Flexibilität. Das fertige Stück wird auf den unterschiedlichsten Bühnen aufgeführt und die Rollen sind 3 bis 4-fach besetzt. Dies erfordert, dass die Jungendlichen die jeweilige Situation erspüren und dazu in der Lage sind, sich umzustellen und anzupassen. Die Ausbildung eröffnet den Jugendlichen Räume und Möglichkeiten, von denen sie vorher keine Vorstellung hatten. Sie erarbeiten sich ein Kapital, auf dass sie in jeder Lebenssituation zurückgreifen können. Das richtige Auftreten bei einem Vorstellungsgespräch beispielsweise kann einem Türen öffnen, das falsche jedoch Wege verschließen. Die Kinder lernen, selbst etwas zu bewirken, bekommen Mut, etwas zu tun oder sogar einmal über das Ziel hinaus zu schießen und nicht das ewig Vorgekaute nachzuäffen.

Bisher haben rund 250 Jugendliche aktiv an diesem Projekt teilgenommen. Ende 2010 werden ca. 40.000 Jugendliche unsere Vorstellungen besucht haben.
Einige Worte noch zu unserer diesjährigen Produktion – das Schauspiel „Wut“ von Max Eipp. Es ist die Geschichte des Zusammenpralls zweier Kulturen, die einander zutiefst fremd sind. Max Eipp erzählt mit viel Wissen und großer Einfühlsamkeit die Geschichte von Intoleranz, Fremdenhass, aber auch Freundschaft. Ein kühner interkultureller Thriller, der die Probleme Jugendlicher thematisiert und durch Provokation zur Integration führt. Ein Theaterstück, das niemanden auslässt und einem zwingt sich selbst und sein Handeln zu hinterfragen. Mut zu „Wut“ – ein Muss für die Bühne und für Schulen – ist die einstimmige Meinung von internationalen Erziehungswissenschaftern. Ebenso bestätigen, seit der Premiere viele e-mails von Jugendlichen, dass sie Realität so erleben uns sich sehr gut in den Figuren des Stückes wieder finden. Ich erkenne daran die Grundlage interessanter Diskussionen und Erschließung neuer Gedanken. So habe ich mir das Projekt gewünscht und ich freue mich über die internationale Anerkennung, die wir durch die Schirmherrschaft der UNESCO erhalten haben.