Ein gesunder Geist lebt in einem gesunden Körper, sagt man – und wie wirkt sich der gebaute Raum auf Geist und Körper aus?

„Raum und Licht und Ordnung. Das sind Dinge, die der Mensch genauso braucht wie Brot oder einen Platz zum Schlafen“ urteilte einst der französische Architekt und Stadtplaner Le Corbusier und legte damit klar, dass die Diskussion über Architektur weit über funktionelle Belange, Ästhetik oder Geschmacksfragen hinaus zu gehen hat. Anlässlich der alljährlichen Auslobung des Kinderrechtspreises, möchte ich darüber reflektieren, ob architektonisch qualitätsvolle Räume Kindern und Jugendlichen ein Angebot unterbreiten kann, dass sie auf ihrem persönlichen Weg zur Selbstfindung und Selbstbehauptung zu unterstützen vermag?

Jeder der sich einmal in einem Raum wiedergefunden hat, der all seine persönlichen Ansprüche an diesen allumfassend erfüllt hat, wird erfahren haben, wie bewusst oder unbewusst die Aura dieses Raumes sein persönliches Wohlbefinden positiv beeinflusst oder gar gesteigert hat. Dieses Phänomen, dass der gebaute Raum die Stimmung desjenigen der sich in ihm aufhält  zu heben und positiv zu emotionalisieren vermag, möchte ich als eine der grundlegendsten Ansprüche an gelungene Architektur und damit an die Überwindung des reinen Bauens bezeichnen. Mit diesem Anspruch bzw. Können unterscheidet sich qualitätsvolle Architektur von bloßem Gebautem, welches nicht vermag, den Nutzer positiv zu aktivieren oder gar zu beflügeln. Die Aufgabe eines Planers, der Räume für Kinder oder Jugendliche schafft, ist es daher, nicht nur ein funktionales und formalästhetisches Objekt zu entwerfen, sondern eine Umgebung zu verwirklichen, die Sicherheit und Vertrautheit schafft wie auch sozialen Interaktionen einen entsprechenden Rahmen gibt. Kreativ sein, heißt sich über gewohnte Denk-und Handlungsmuster hinaus betätigen und  entfalten zu können. Kinder zu motivieren, diese Grenzen im Kopf zu überschreiten, sodass sie zu selbstbestimmten, gefestigten und engagierten Persönlichkeiten heranwachsen können, ist eine der vordringlichsten Verpflichtungen und Herausforderungen unserer Gesellschaft, der wir uns täglich aufs Neue zu stellen haben. Dabei kommt die Frage auf - was kann Architektur leisten, um dieser Aufgabe nachzukommen und diesen Prozess zu unterstützen und möglich zu machen?

Mit Niederösterreichs gesetzlicher Entscheidung, das Kindergartenalter von 3 auf 2,5 Jahre zu senken, war schlagartig der Bedarf nach zusätzlichen Betreuungsplätzen gegeben. In einer daraus resultierenden baulichen Offensive zwischen 2008 und 2011 entstanden Kindergärten von höchstem architektonischen Anspruch und räumlicher Qualität. Gesellschaftlich betrachtet nicht gestalterischer Luxus, sondern soziale Notwendigkeit, denn Kindergärten sind über weite Strecken des frühen Lebensweges eines Kindes genau jene Welt, in der sie sich, erstmals getrennt von ihren Eltern und Bezugspersonen, zurechtfinden und ein Gefühl der Sicherheit entwickeln müssen. Mehr noch, diese Räume müssen Kindern helfen, Ängste zu überwinden und seelischen Halt zu geben. Fragt man sich, was solche gebauten Räume auszeichnet, oder welchen Kriterien Architektur generell entsprechen muss, um dieser Aufgabe überhaupt gerecht werden zu können, wird man zu folgenden Erkenntnissen gelangen.

Ein wichtiges Kriterium ist grundsätzlich ein Raumangebot unterschiedlichster Eigenschaften und Erlebbarkeit zu schaffen. Dieses muss das Bedürfnis nach persönlicher Entfaltung und Bewegungsdrang ebenso erfüllen können wie Rückzug, Ruhe und Geborgenheit ermöglichen – stets mit dem Ziel, sich lebendig, aktiv und auch in seinen Bedürfnissen ernst genommen zu fühlen. Frei nach seinen Wünschen entscheiden zu können, ist etwas, das den jungen Menschen stärken und robust werden lässt.

Als weiteren Aspekt sehe ich die Fähigkeit von Architektur, spielerisches Lernen und soziales Verhalten zu forcieren, in dem man eine räumliche Atmosphäre schafft, die den Vorgang des Lernens fördert. Glaubt man dem Gehirnforscher Prof. Gerald Hüther, der sagt, dass ohne positiver Gefühle kein entsprechender Lernerfolg möglich ist, wird klar, dass es zur langfristigen Verinnerlichung von Lerninhalten Begeisterung und Emotion braucht. Räume müssen also die emotionale Komponente ansprechen wie auch die Phantasie stimulieren, um die geistige Entwicklung eines Kindes unterstützten zu können. Damit Architektur auch zum spielerischen Erforschen und Erkunden anregen und damit zum Lernen animieren kann, braucht es außergewöhnliche Raumerlebnisse die alle Sinne ansprechen und Kinder beflügeln und inspirieren können. Lichtdurchflutet mit gezielten Sichtverbindungen intern und nach außen, beschützend und behaglich, wie offen, frei und großzügig zugleich müssen diese Orte sein, damit sich Kinder mit all ihren individuellen Interessen und Bedürfnissen darin wiederfinden können.

Neben dieser Voraussetzung zu einem hohen Aufforderungscharakter eines Raumes der entsprechende Wahrnehmungsimpulse setzt, bedarf es aber auch einer emotionalen Bindung und Identifikation des Kindes mit dem Ort. Identifizieren können heißt Bezug bekommen, denn wenn man sich nicht identifizieren kann, ist man auch nicht gewillt sich mit seinen Talenten, Fähigkeiten und seiner Kreativität einzubringen. Ein Gebäude soll demzufolge nicht nur eine extravagante Hülle sein, sondern im Denken des Kindes in einer Weise zu Leben erwachen und Raum für seine ganz persönliche Geschichte(n) bieten. Aus dieser Dynamik heraus kann Architektur bedeutungsvoll und zu einem Ort werden, der nicht nur Wohlbehagen spendet, sondern auch ein fester seelischer Anker im Leben eines Kindes darstellen kann.

All die Herausforderungen und Probleme eines Kindes auf seinem frühen Lebensweg bestmöglich zu meistern, vermag natürlich aber auch die beste architektonische Hülle nicht zu lösen. Doch allein schon mit dem Bestreben einer Gesellschaft, Bauten in denen die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Fokus stehen, mit dem höchstmöglichen Qualitätsanspruch verwirklichen zu wollen, bringt Kindern genau jene Wertigkeit und jenen Respekt entgegen, die ihnen in jedem Fall gebühren - sodass das Wort „Würde“, nicht nur der Konjunktiv von „werden“ ist.