Die Pandemie-Müdigkeit tragfähig gestalten – die WHO empfiehlt 4 Schlüsselstrategien

Im Jahr 2020 stießen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-Pandemie bei einem Großteil der Menschen auf Verständnis. Mit der zeitlichen Fortdauer der Pandemie macht sich nun eine gewisse Pandemie-Müdigkeit breit. Pandemie-Müdigkeit ist ein Resultat verschiedener Einschränkungen, die Menschen aufgrund der Maßnahmen erleben. Diese werden in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich wahrgenommen.

Auch Kinder und Jugendliche, die unter den Pandemiemaßnahmen und dem stark eingeschränkten Sozialleben besonders gelitten haben, können unter Pandemiemüdigkeit leiden. Zumal sie selbst in weit geringerem Maße gefährdet sind als alte Menschen und die Covid-Pandemie als Pandemie der älteren Generationen wahrnehmen.
Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) schlägt in ihrer Publikation „Pandemic fatigue Reinvigorating the public to prevent COVID-19“ Strategien vor, um die öffentliche Unterstützung für Covid-19 Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten beziehungsweise wiederherzustellen.

Die darin vorgestellten vier Schlüsselstrategien sind:
1.) Menschen und deren Motivationen für ihr Handeln verstehen zu lernen, 
2.) sie in Lösungen einzubeziehen,
3.) ihnen trotz Pandemie ein Sozialleben zu ermöglichen und 
4.) die Auswirkungen der Pandemie anzuerkennen und anzusprechen

Diese Vorgehensweise kann auch für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen herangezogen werden.

1.) Um Kinder und Jugendliche zu verstehen, ist es wesentlich, jene Gruppen zu identifizieren, bei denen sich eine Pandemie-Müdigkeit bemerkbar macht. Welche Gruppen von Kindern und Jugendlichen fallen hier besonders auf? Und welche durch die Pandemiemaßnahmen entstandenen, konkreten Lebensumstände sind es, die zu dieser Pandemie-Müdigkeit geführt haben?
In der Folge muss überlegt werden, wie Information und Kommunikation gestaltet werden muss, um Kinder und Jugendliche mit ihren Bedürfnissen zu erreichen. Dabei sollen auch neue Initiativen, Botschaften und Kommunikationsmethoden getestet werden, die dazu geeignet sein können, die pandemie-müden Verhaltensweisen dieser Gruppen zu ändern. 
Aufgrund der hohen Anzahl an verfügbaren Informationen, zum Beispiel auf YouTube-Kanälen oder anderen Social-Media-Plattformen, kommt es auch unter Jugendlichen zu Zweifeln über die Vertrauenswürdigkeit der Quellen, weswegen auf qualitativ hochwertige, evidenzbasierte Informationen gesetzt werden sollten. Sowie dem Grundsatz: „weniger ist mehr“.

2.) Wie Erwachsene, so haben auch Jugendliche und auch Kinder das Bedürfnis, ihr eigenes Leben in gewissem Rahmen unter eigener Kontrolle zu haben. Wenn dies bedroht ist, wirkt sich das negativ auf die Motivation aus. Für eine öffentliche Unterstützung bzw. Akzeptanz der Pandemie-Maßnahmen ist daher die Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen ein zwingender Teil der Lösung.
Die WHO rät zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft, wobei sie in Bezug auf Kinder und Jugendliche konkret nationale Jugendorganisationen, Sportvereine und Pfadfinderorganisationen nennt. Die Zivilgesellschaft soll auch ersucht  werden, kreative Wege zur Einbeziehung und Unterstützung der Mitglieder zu entwickeln und dabei unterstützt werden.
Zudem sollen Verhaltensweisen an Schulen, Universitäten, Jugendklubs etc. besprochen werden, wo bei den Diskussionen Einschränkungen, Unannehmlichkeiten und Missverständnisse aufgedeckt werden könnten. Denn Partizipation ist in vielen Lebensbereichen für Kinder und Jugendliche der Königsweg. Durch Partizipation kann unredlich agierenden Netzwerken, VerschwörungstheoretikerInnen und radikalen Gruppierungen, die unter Jugendlichen ihren Nachwuchs, Anhängerschaft und Kundschaft rekrutieren, der Boden entzogen werden.
Es stellt sich auch die Frage, ob in Covid-Krisenstäben und anderen Pandemie-Gremien der Körperschaften Jugendliche und Kinder partizipativ beteiligt sind und wenn nicht, wie diese Beteiligung schnellstmöglich gewährleistet werden kann.
Um eine positive Konnotation der Maßnahmen zu erwirken, sollen zudem von Jugendlichen anerkannte Opinionleader eingebunden werden, um auf den Informationskanälen, die von Jugendlichen genutzt werden, positive Botschaften zu senden, wobei diese Botschaften auf der Stärkung der Selbstwirksamkeit beruhen sollen. Im Sinne von: „wir kontrollieren die Pandemie mit unserem Verhalten“, bestenfalls unter der Nutzung der Kraft von Geschichten.

3.) Zu den Covid-Maßnahmen rät die WHO am Harm-Reduction-Ansatz Anlehnung zu nehmen, wie er zum Beispiel bei der Bekämpfung des HIV-Virus Anwendung findet. Der Harm-Reduction-Ansatz (wörtliche Übersetzung: Schadensminimierung) folgt der Theorie, dass bei Verhaltensweisen, die nicht gänzlich verhindert werden können, zumindest eine Schadensminimierung erfolgen soll. Dazu zählt beispielsweise das Programm, für Drogen- bzw. Heroinabhängige sterile Spritzen auszugeben um ebenso der Ansteckung mit dem HIV-Virus präventiv entgegenzuwirken.
Diese Ansätze können laut WHO für diejenigen nützlich sein, die Schwierigkeiten haben, sich an die empfohlenen Covid-Maßnahmen zu halten. So sind etwa Genehmigungen von Feierlichkeiten im kleinen Rahmen nicht vollends im Sinne der Pandemie-Bekämpfung, aber gemäß dem Harm-Reduction Ansatzes eine durchaus akzeptable Alternative zu einem generellen Verbot. Hier sollte im Falle drohender neuerlicher harter Maßnahmen überlegt werden, wie der Harm-Reduction-Ansatz konkret für Kinder und Jugendliche umgesetzt werden kann. Was getan werden kann, um das Sozialleben von Kindern und Jugendlichen nicht völlig einzuschränken, sondern in Hinblick auf das Infektionsgeschehen in einem gerade noch vertretbaren Rahmen zu gestalten. 
Zudem sollen Urteile und Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit riskanten Verhaltensweisen unbedingt vermieden werden, da dies eher zur Entfremdung beitragen könnte, als zu mehr Engagement und Motivation die Maßnahmen mitzutragen.

4.) Die Pandemiebeschränkungen haben für Kinder und Jugendliche nicht nur zu Unannehmlichkeiten im Alltag geführt, sondern zu tatsächlichen Verlusten, wie zum Beispiel Verlusten im Bildungsfortschritt oder Isolation von Familie und Freunden. Die negativen Auswirkungen für Kinder und Jugendliche wurde oft schon beschrieben, weswegen hier nicht nochmals näher darauf eingegangen wird.
Umfragen unter Erwachsenen zeigen, dass der wahrgenommene Verlust im Zusammenhang mit den Pandemie-Maßnahmen höher sein könnte, als der wahrgenommene Verlust im Zusammenhang mit dem Virus selbst. Dies gilt umso mehr für Kinder und Jugendliche, deren Risiko für schwerwiegende Folgen einer Covid-Infektion wesentlich geringer ist, als für Ältere.
Die WHO rät daher, Hindernisse und Nöte, mit denen Menschen konfrontiert sind, zu identifizieren und zu beseitigen und erforderliches Schutzverhalten vom Aufwand für die Betroffenen her so mühelos wie möglich zu gestalten. Auch hier sollte man konkret überlegen, wie schwierig Kinder und Jugendliche die Einhaltung einzelner Maßnahmen empfinden und ob für Kinder und Jugendliche bedürfnisgerechte Hilfestellungen geboten werden können.
Zudem sollte geprüft werden, ob schwer einzuhaltende Einschränkungen mit anderen Maßnahmen ausgeglichen werden können, die dazu geeignet sind, negative Auswirkungen zu mildern.
Letztendlich sollte für Kinder und Jugendliche die Möglichkeiten geschaffen werden, ihre Zeit produktiv zu nutzen, wenn sie isoliert sind oder aufgrund der Pandemie ein eingeschränktes Sozialleben führen.

Conclusio:
Ausgehend von einer schier unüberschaubaren Menge an vertrauenswürdiger und –unwürdiger Informationen über die Covid-Pandemie, die zur Zeit frei zugänglich kursieren, zielen die Empfehlungen der WHO auf Kommunikationspsychologie ab, um Menschen für die Unterstützung der Covid-Maßnahmen zu gewinnen. Wesentlich ist dabei, dass die WHO mit den Grundsätzen der Transparenz, Planbarkeit und Unterstützung für die Menschen argumentiert und somit den angstmachenden und verstörenden Verschwörungstheorien und geschickt aufbereiteten, pseudowissenschaftlichen Diskursen entgegentritt. Es ist wichtig eine ständige, wissenschaftliche Evaluierung der Erkenntnisse, auf denen die Covid-Maßnahmen fußen, zu gewährleisten.  
Wir empfehlen, dass sich die für die Eindämmung der Pandemie Verantwortlichen auch beim Umgang mit Kindern und Jugendlichen entlang der WHO Strategien orientieren.