Das Recht auf Medienbildung!

Medien sind ein allgegenwärtiges Phänomen. Sie beeinflussen unser Denken, bestimmen unser Handeln, strukturieren unsere Zeit, verändern laufend Form und Funktion und damit auch uns. Kinder und Jugendliche bewegen sich wie selbstverständlich in virtuellen Welten, in denen sie die Eingeborenen und die Erwachsenen manchmal immer noch die unsicheren Einwanderer sind. Es ist ein interessanter Gedanke, dass sie ihren Eltern, PädagogInnen und Vorgesetzen in einer wichtigen Kulturtechnik, dem Medienumgang, oftmals - zumindest technisch - voraus sind.
Umso mehr bleibt es jedoch Aufgabe und Verantwortung der Erwachsenen sie zu begleiten und über Bedeutungszusammenhänge, Risiken und Möglichkeiten aufklären zu können. Im Technikwissen der Kinder und in der Bereitschaft der Erwachsenen, in diesem Bereich von ihnen zu lernen, steckt ein gewinnbringendes Beziehungs- und Gesprächsangebot. Der Dialog und ein Nutzbarmachen des kindlichen Expertenstatus schärfen das Bewusstsein Erziehender dafür, aus welchen Gründen Medien eine so große Rolle im Leben junger Menschen spielen, welche Bedeutung sie für ihre Kinder haben und welche Möglichkeiten die „Neuen-Medien“ bieten. Gleichzeitig bildet diese intergenerationale Verständigung eine tragfähige Basis für Vereinbarungen, Regeln und Grenzen im Umgang mit Medien.


Jungen Menschen steht heute eine nie dagewesene Medienvielfalt zur Verfügung. Nahezu alle Haushalte, in denen Kinder aufwachsen, besitzen Computer und Internet und auch der persönliche Medienbesitz der Heranwachsenden ist bemerkenswert. Das erste Handy – in Österreich bekommen es die Kinder im Durchschnitt mit 10 Jahren, oft schon zur Erstkommunion - ist es eine Art Übergangshilfe, die „an der langen Leine“ am Weg zum Erwachsenwerden hilft. Nicht nur für junge Menschen ein Statussymbol, ein Multifunktionsgerät, mit dem man - auch - telefonieren kann -  und ein ständiger Begleiter: die Mehrheit hat das Smartphone immer bei sich. Denn die immer und überall geforderten Tugenden „Flexibilität & Mobilität“ haben den Alltag verändert. Das Smartphone ist für Jugendliche ein Fenster zur Welt und die Schnittstelle in ihre sozialen Netzwerke mit stark identitätsbildender Funktion. Nach einer aktuellen Umfrage des Markt-und Meinungsforschungsinstitute Focus liegt YouTube in allen Altersgruppen ganz vorne, Facebook wird bei der jungen Generation mittlerweile längst von Instagram und Snapchat eingeholt – auch TikTok wird intensiv genutzt – insgesamt liegt die Nutzungsdauer aller Kanäle in der jungen Zielgruppe bei 100 Stunden pro Woche.

Jugendliche benutzen Medien nicht nur, sie leben in diesen Medien - die virtuelle und die physische Welt verschmelzen immer mehr. Die neuen Medien bieten für die wichtigsten Entwicklungsaufgaben junger Menschen ein ideales Handlungsfeld. Da wäre zunächst die Frage: Wer bin ich? Die Gestaltung ihrer Profile und Accounts bietet reichlich Gelegenheit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dann stellt sich gerade in diesem Alter unendlich drängend die Frage: Wie sehen mich die anderen? Die Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld wird auch über die Anzahl von Likes und Follower verhandelt. Und schließlich fungiert das Smartphone als Orientierungsanker in der Sachauseinandersetzung mit der allgegenwärtigen Frage: Wie finde ich mich zurecht in einer immer komplexer werdenden Welt?

Dabei steht der Wunsch, als interessante Persönlichkeit wahrgenommen zu werden und in Beziehung zu treten, oft in Konflikt mit der leichtfertigen Preisgabe persönlicher Daten, der Wahrung von Urheberrechten und den finanziellen Möglichkeiten. Es bedarf der Fähigkeit, Informationen sinnvoll zu filtern, sie einordnen und bewerten zu können sowie kritisch-reflexiv zu hinterfragen. Außerdem ist es im Internet wie an jedem Ort, nicht jede und jeder, die oder der uns begegnet, meint es gut mit uns. Das mobile Internet kommt den Bedürfnissen und Wünschen der jungen Leute entgegen und schafft sie gleichzeitig auch. Ein Dreizehnjähriger meint bei einer Befragung zum Thema Handy: „Ein Tag ohne Handy – das ist wie ungesalzene Pommes“.

All das wirf neue Fragen auf. Was ist es, das Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenswelt - in der sie sich zwischen realen und virtuellen Räumen bewegen und einander da wie dort begegnen - wirklich brauchen? Was müssen Erwachsene, insbesondere Eltern und PädagogInnen, wissen, um die vielschichtige Bedeutung, die die Medien für junge Menschen haben, zu verstehen? Welche Kompetenzen sollten sie besitzen, um Kinder und Jugendliche begleiten und zukunftsorientiert befähigen zu können? Wie für das Lesen und Schreiben ein bloßes Kennen der Buchstaben nicht ausreicht, ist auch der Umgang mit den Neuen Medien eine Kulturtechnik, deren sinnvolle Anwendung weit mehr verlangt, als nur das Wissen darüber, wie die einzelnen Geräte und Dienste funktionieren. Neue Technologien sind nur dann bereichernd, wenn zur positiven Nutzung notwendige gesellschaftliche Normen in demokratischen Prozessen ausverhandelt und Bildungsstandards mitentwickelt werden. Im Moment hinken Letztere dem Ersteren ebenso hinterher, wie das Verständnis mancher Erwachsener für die gefühlt andauernde Nutzung aktueller Medien durch die „Digital Natives“.

Medien wirken! Auf die Person und in Beziehungen hinein ebenso, wie in den Alltag, in die Familie, den Beruf, die Schule und in die Freizeit. Überall dort kommt es zu Auswirkungen und wechselseitiger Beeinflussung. Medienbildung und Medienerziehung sollten als wesentliche Bereiche von Bildung und Erziehung betrachtet werden. Es braucht einen Medienbildungsbegriff, der auch auf die ethisch-reflexive Dimension der Medienerziehung abzielt. Neben Wissen zu Medieneinsatz und Funktionsweisen braucht es Kritikfähigkeit und Bewusstseinsbildung. Medienbildung ist immer auch politische Bildung und diese ist unerlässlich für einen sinnvollen, selbstbestimmten und mündigen Medien- und Lebensumgang. Gefordert ist ein ganzheitlicher Ansatz, mittels handlungsorientierter Medienpädagogik, generationsübergreifend unter Einbindung der Eltern, Erziehungsberechtigten, SchülerInnen und Auszubildenden sowie der PädagogInnen (von KindergartenpädagogInnen über (Berufs-)SchulpädagogInnen bis zur Erwachsenenbildung).

Ein Arbeiten und Lernen - miteinander und voneinander - sollten explizit gewollt und Teil der Methode sein. Medienbildung kann analog zum technologischen Wandel nur ein dynamischer Prozess sein, der sich auch aus der Herangehensweise des „Learning by Doing“ von Kindern und Jugendlichen speist. Ein Bewusstmachen und das Verknüpfung vorhandener Ressourcen bei Jung und Alt birgt ein hohes Potential, um digitales Know-how und „analoges Wissen“ gegenseitig nutzbar und für Fragen des Umganges mit Medien in Schule und Beruf, in der Freizeit und in den Familien und Beziehungskreisen anwendbar zu machen. Im gemeinsamen Arbeiten sollte Fakten- und Erfahrungswissen der Beteiligten in diesen Prozess einfließen und so vom „Wissen wie“ zu „Wissen“ führen.

Was Erwachsene brauchen, ist eine möglichst alltagsnahe Unterstützung, z.B. in Form von Elternbildung. Was Kinder und Jugendliche brauchen, ist eine Begleitung, die sich je nach Altersstufe unterschiedlich gestalten wird, die aber immer von wertschätzendem Interesse an den kindlichen bzw. jugendlichen Medienvorlieben und Gesprächsangeboten bzw. Gesprächsbereitschaft getragen sein muss. Was Medienbildung braucht, ist eine verbindliche Haltung gegenüber den Medienphänomenen und gegenüber dem Heranwachsenden.

Ein Menschenbild, das diesen als ein kompetentes, sich die Umwelt aktiv aneignendes Wesen begreift, erlaubt einen kritischen und positiven Zugang. Ein Medienverständnis, das auch die Möglichkeiten und Chancen, die in ihnen liegen erkennt, befördert einen kreativen und gewinnbringenden Medienumgang, der die Zukunftschancen der Kinder und unserer Gesellschaft insgesamt erhöht. Beides drückt sich aus in einem Mittelweg zwischen Zutrauen, Vertrauen und Beschützen, auf dem wir junge Menschen nicht bewahren, sondern sie (und auch uns selbst) vor allem befähigen möchten.