Das Recht auf Selbstbestimmung:
Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein fundamentales Patientenrecht. In der Patientencharta (Vereinbarung zur Sicherstellung der Patientenrechte (Patientencharta), BGBl. I 36/2002) ist dem Selbstbestimmungsrecht ein ganzer Abschnitt (Artikel 16 -20) gewidmet. Auch auf europäischer Ebene ist das Selbstbestbestimmungsrecht der Patienten in der Europäischen Patientenrechtscharta (www.activecitizenship.net) verankert. In der österreichischen Rechtsordnung ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in verschiedensten Gesetzen normiert, wobei hier der § 110 StGB als wesentlichste Bestimmung hervorzuheben ist, da dieser die „eigenmächtige Heilbehandlung“ unter gerichtliche Strafe stellt. Auch im Zivilrecht ist das Selbstbestimmungsrecht, vor allem durch die sehr umfassende Rechtsprechung, geschützt. Denn im Zivilrecht stellt eine nicht zugestimmte Behandlung eine Körperverletzung dar und kann daher Schadenersatzansprüche, insbesondere Schmerzengeldansprüche, auslösen. (Zum Rechtfertigungsgrund der Einwilligung: Juen in Arzthaftungsrecht (48 f)) Hier ist auf das Erfordernis einer entsprechenden Aufklärung hinzuweisen: Nur nach entsprechender Aufklärung kann eine Patientin oder ein Patient die Einwilligung in eine Heilbehandlung erteilen. (Ausführlich zum Thema Aufklärung: Memmer im Handbuch Medizinrecht; weiters Kopetzki im Recht der Medizin 1995, 91)
Eine wesentliche Voraussetzung für eine wirksame Aufklärung ist, dass diese einer einsichts- und urteilsfähigen Patientin bzw. Patienten zugeht. Einsichts- und Urteilsfähigkeit bedeutet, dass die Patientin/der Patientin in der konkreten Situation die Bedeutung einer Behandlung einsehen und ihren/seinen Willen danach bilden kann. (Kleteca im Handbuch Medizinrecht (I/136))
Zustimmung zur Behandlung bei Kindern:
Auch bei Kindern (Personen unter 18 Jahren) ist dies Voraussetzung für eine wirksame Zustimmung zur Behandlung. In die medizinischen Behandlung willigt das einsichts- und urteilsfähige Kind selbst ein (§ 146c ABGB). Entscheidend ist also nicht das Alter des Kindes, sondern das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Nur im Zweifelsfall kann diese Einsichts- und Urteilsfähigkeit ab Vollendung des 14. Lebensjahres vermutet werden. Ein Beispiel: Ein 13-Jähriger zieht sich eine Schramme zu und lässt sich diese durch einen Arzt (etwa im Rahmen einer ambulanten Visite bei einem Kindersportfest) versorgen. Er versteht die Unterweisungen des Arztes, gibt diese wieder und sagt zu, die Eltern davon in Kenntnis zu setzen (etwa, dass er morgen das Krankenhaus aufsuchen soll, wenn die Wunde noch wehtun sollte). Hier wird man von vorhandener Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausgehen können.
Im Gegensatz dazu ist die Einsichts- und Urteilsfähigkeit eines „Führerscheinneulings“, der verunfallt ist, seinen (auch schweren) Verletzungen keine Bedeutung zumisst und seine Aufmerksamkeit allein auf sein zerstörtes Fahrzeug richtet, kritisch zu sehen. Dieser Patient sieht, womöglich aufgrund des Schocks nach dem ersten Verkehrsunfall seines Lebens, die Bedeutung einer Behandlung in Verkennung der Situation nicht ein – er ist nicht einsichts- und urteilsfähig.
An diesen (fingierten) Beispielen kann erkannt werden, dass sich die Frage nach der Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht alleine über das Lebensalter klären lässt.
Die Zustimmung zur Behandlung hat, bei gegebener Einsichts- und Urteilsfähigkeit, das Kind also selbst zu geben. Daran ändert auch eine allfällige Zustimmung oder Wunsch der Eltern (die mit Pflege- und Erziehungsangelegen¬heiten betraute Person) nichts: Das Selbst-bestimmung¬srecht des einsichts- und urteilsfähigen Kindes geht vor.
Ist das Kind nicht einsichts- und urteilsfähig, so genügt die Zustimmung der Eltern; sind beide Elternteile Obsorgeträger, so genügt die Zustimmung eines Elternteils. (OGH am 10.06.2008 zu 4 Ob 87/07k)
Schwerwiegende Eingriffe:
Sind mit der Behandlung nachhaltige Beeinträchtigungen verbunden, so muss neben der Zustimmung des Kindes auch die Zustimmung der Eltern (siehe oben) vorliegen (§146c Abs. 2 ABGB). Eine schwere Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn die Behandlungsfolgen die Qualität einer „schweren Körperverletzung“ erreichen. (Vgl. § 84 StGB) Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beeinträchtigung länger als 24 Tage andauert. In eine Maßnahme, die die dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit zur Folge hätte, können weder das Kind, noch die Eltern einwilligen (§ 146d ABGB).
Schönheitsoperationen:
Besondere Regelungen bestehen ab 1. Jänner 2013 für medizinisch nicht notwendige Schönheitsoperationen durch Inkraftreten des Ästhetische Operationen Gesetzes (ÄsthOpG). (Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG), BGBl. I 80/2012) Dieses Gesetz sieht einen besonderen Schutz von Kindern vor (§ 7 ÄsthOpG). Medizinisch nicht notwendige Operationen sind ab 1. Jänner 2013 bei Personen unter 16 Jahren grundsätzlich unzulässig. Die Aufklärung und Zustimmung hat nachweislich (schriftlich dokumentiert) zu erfolgen. Eine psychologische Konsultation hat dem Eingriff voranzugehen. Weiters muss zwischen dem Zeitpunkt der Aufklärung und der Operation eine 4-wöchige „Cool-Down-Phase“ liegen, in der sich der/die minderjährige Patient/Patientin gegen die Operation entscheiden kann. Durch so eine Entscheidung darf jedoch kein finanzieller Nachteil entstehen.
Notfälle:
Bei Gefahr im Verzug ist eine Behandlung ohne Zustimmung der Patientin bzw. des Patienten möglich (§ 110 Abs. 2 StGB; § 146c Abs. 3 ABGB). Das wäre auch praktisch nicht anders möglich: Eine bewusstlose Person in der Notaufnahme wird eine Zustimmung zur Behandlung nicht erteilen können.
Fragen:
Einwilligung und Aufklärung sind komplexe Themenbereiche, zu denen eine umfangreiche Rechtsprechung besteht. Bei Fragen steht die NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft zur Verfügung.
Mag. Michael Prunbauer
NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft
3109 St. Pölten, Rennbahnstraße 29
Telefon: (027 42) 9005 – 15575
www.patientenanwalt.com
Abkürzungen:
ABGB – Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Abs. – Absatz
BGBl. – Bundesgesetzblatt
OGH – Oberster Gerichtshof
StGB – Strafgesetzbuch
vgl. – vergleiche